von Ulrike Sammer
Mein Mann und ich hatten wieder einmal ein Wochenende mit unserer Freundesgruppe in einem Selbstversorgerhaus organisiert. Natürlich hatten wir einige Optionen vorbereitet. Je nach Wetter gab es einige Programmpunkte. Als Besonderheit wollten wir den Freunden den Erdstall in Klein-Mariazell zeigen. Im Vorfeld hatten mein Mann und ich den Eingang in dieses mystische Gangsystem besichtigt und sind mit der Pfarre übereingekommen, dass wir ausnahmsweise in diesen verborgenen unterirdischen Gang absteigen dürfen.
Das ehemalige BenediktinerklosterKlein-Mariazell, liegt im westlichen Teil des auslaufenden Wienerwaldes, im oberen Triestingtal, in Niederösterreich. Es liegt an der „Via Sacra“, der alten Pilgerstraße von Wien nach Mariazell in der Steiermark. Die Basilika birgt einige Kostbarkeiten, wie zum Beispiel eine besonders hübsche thronende Madonna mit dem Jesuskind auf ihrem Schoss als Gnadenstatue. Wir konnten aber unsere Freunde besonders für den sonst unzugänglichen Erdstall, einem vermutlich uralten Ritualweg, begeistern.
Mit der Begleitung des Messners betraten wir also die Kirche. Der vordere Teil des Hauptganges war mit einem Läufer bedeckt. Den rollten wir auf. Darunter wurde eine Steinplatte mit einem schweren eisernen Ring sichtbar. Unsere zwei stärksten Männer schoben eine Stange durch den Ring und hoben die Platte unter Aufbietung aller ihrer Kräfte zur Seite. Nun sah man einen engen Schacht in die Tiefe. Alle unsere Freunde sahen in das schwarze Loch, dessen Grund man nicht sehen konnte und es verließ sie ihr Mut. Wir wussten aber, dass man irgendwann Boden unter den Füßen spüren wird. Nachdem mein Mann und ich alle zu dieser Unternehmung „hergelockt“ hatten, fühlten wir uns nun auch verpflichtet hinunter zusteigen. Mein Mann war sehr mutig und hatte mir bei ähnlichen Unternehmungen früher immer viel Halt gegeben. Ich wusste aber von mir, dass ich bald an meine Grenzen komme und in sehr engen Gängen, Höhlen oder Felsspalten nahe an eine Panik komme. Ich nahm also meinen ganzen Mut zusammen. Mein Mann stieg zuerst hinein und ich kam hinten nach. Unten erwartete uns ein abzweigender schwarzer Gang, in dem man aber Gott-sei-Dank aufrecht stehen konnte. Wir hatten beide Taschenlampen mit, aber das half nicht viel. Wir hatten auf einer Abbildung gesehen, dass der Gang sich irgendwann teilen würde, kreisförmig verläuft und schließlich wieder in den anfänglichen schmalen Gang mündet. Das musste ich also überwinden. Dünne Wurzeln und Spinnweben berührten immer wieder mein Gesicht. Mir wurde immer heißer, ich fing zu schwitzen an. Ein schlechtes Zeichen. Dann begann ich zu keuchen, immer schneller. Mein Mann war schon etwas weiter vorne und ich sagte: „bitte rede mit mir!“ Ich musste mich vom Atem ablenken. Endlich waren wir um die Felsspindel herum gekommen und ich wusste, wie es weiter geht. Das beruhigte ein bisschen. Schnell weiter. Und da war auch der Schacht… hinauf…gerettet…
© Ulrike Sammer 2022-07-06