White Musk

Auf einmal taucht das saftige Grün der Vorgärten um mich herum auf und der Geruch von Teer und nassem Asphalt nach einem Sommerregen liegt in der Luft. Dieses ständige Nass, das Grau, das die saftigsten Farben der Natur hervorbringt.

Vor mir sehe ich die Gebäude aus Backsteinen, zwischen denen sich die Cam schlängelt. Auf ihr rudern die Unimannschaften von Cambridge.

Plötzlich stehe ich vor den schmiedeeisernen Gittern der Downing Street, dann im Dr. Martens Store in der Oxford Street, wo ich mir meine geliebten Boots kaufe, weil sie deutlich billiger sind als bei uns. Hier ist jedes Geschäft ein Geheimtipp.

„Darf ich das haben?“, reißt mich meine Tochter jäh aus den Gedanken und holt mich zurück ins Hier und Jetzt. In der Hand hält sie das Fläschchen, das ich vor mehr als 20 Jahren das erste Mal in der Hand gehalten habe. Sie hat sich schon damit eingesprüht und riecht nach dem Aufbruch, der Lebensfreude und der Unsterblichkeit von damals.

Ich stehe wieder mit meiner Freundin in dem „grünen“ Geschäft in der Victoria Station, das wir von zu Hause kennen. Beide haben wir eines der schlichten Flacons in der Hand – das, das mir jetzt meine Tochter vor die Nase hält und so riecht wie die Freiheit, die wir damals hatten. Darauf steht: White Musk.

Dieser dem Moschushirsch nachempfundenen Geruch hat sich in meine Erinnerung eingebrannt und mich nun wie eine Zeitkapsel in das England Ende der 90er gebracht.

Am Abend treiben wir uns im Londoner West End herum. Überall Theater und Pubs mit Statement.

Es ist noch nicht so lange her, hatte man im Wachsfigurenkabinett von Madame Tussauds Lady Diana aus der königlichen Familie herausgenommen und in einer Ecke abgestellt. Jetzt, wo sie tot ist, hat sie einen Ehrenplatz und ein neues Kleid bekommen. Wahrscheinlich hat ihr das Museum in den letzten 20 Jahren eine ganze Garderobe anfertigen lassen.

Ich nehme den Flacon und sprühe damit in die Luft, als wollte ich meine Tochter mitnehmen in das England meiner Erinnerung.

Sie darf das Fläschchen behalten, aber für ihre Erinnerungen braucht sie ihren eigenen Duft.