Wir sind alle Puzzleteilchen – der andere Teil

Doris Wallner

von Doris Wallner

Story

Eine fertige Geschichte entsteht, wenn sich zwei HĂ€lften miteinander verbinden


Ein fertiges Puzzle entsteht, wenn sich Puzzleteilchen miteinander verbinden.

Eine besondere Rolle in einem Puzzle haben Rand- und Eckteilchen. Sie sind mit weniger Teilchen direkt verbunden. Ihre direkten und indirekten Verbindungen gehen nicht in alle Richtungen, sie bilden weniger Kontakte. Auf einer oder zwei Seiten gibt es keine AnknĂŒpfungspunkte zu anderen Teilchen. Trotzdem sind diese Teilchen vollstĂ€ndig. Es fehlt nichts. Eine Verbindung zu anderen ist auf diesen Seiten der Teilchen nicht vorgesehen. Es ist ein glatter, gerader Abschluss. Erst diese geraden RĂ€nder einzelner Teilchen verleihen dem Gesamtbild den Eindruck eines Ganzen. GĂ€be es diese Teilchen nicht, wĂŒrde das Gesamtbild immer unfertig aussehen. Es wĂŒrde immer etwas fehlen. Randteilchen gibt es viel weniger als MittelstĂŒcke. Eckteile gar nur vier. Aber gerade sie sind es, die dem Gesamtbild StabilitĂ€t und VollstĂ€ndigkeit verleihen.

Ein großes Ganzes, ein Bild, in dem jedes Teilchen seinen ganz eigenen Platz hat, mit sichtbaren Grenzen und doch engen Verbindungen, mit dem Bild, das nur an dieser einen vorgesehenen Stelle wirklich einen Sinn ergibt und auch das nur in Verbindung mit allen anderen Teilen. Dieses große Ganze kann nur entstehen, wenn jedes Puzzleteilchen seinen Platz findet, wenn es den ungeordneten Haufen einzelner Teile verlĂ€sst und sich auf die Suche nach dem richtigen Platz macht.

Puzzleteilchen mĂŒssen ihren Weg aber nicht aus eigener Kraft finden. Jedes Teilchen wird von allen Seiten betrachtet. Die Form, die OberflĂ€che, die Schattierungen werden angesehen. Jemand hat es in der Hand. Und diese Hand bringt es schließlich an den richtigen Platz, zur richtigen Aufgabe. Das Puzzleteilchen selbst muss sich nur fĂŒhren lassen, um schließlich am richtigen Platz, umgeben von den passenden anderen Teilen anzukommen. Jedes Teilchen fĂŒr sich könnte, wenn es sehen könnte, nur sich und seine direkte Umgebung wahrnehmen, und auch, wenn es auf dem Weg zum richtigen Platz einige andere Aspekte kennenlernt – das große Gesamtbild sieht nur der, der es erschafft, nur er hat den Überblick ĂŒber das Ganze.

Das einzelne Teilchen kann aber sicher sein, dass es das allem ĂŒbergeordnete Ziel ist, jedes Puzzleteilchen an seinen vorbestimmten Platz, zu seiner Aufgabe zu bringen.

Manchmal scheinen Teilchen ihren Platz nicht finden zu wollen, sie scheinen sich regelrecht dagegen zu strĂ€uben. Sie verstecken sich, wenden sich ab, verbergen ihr Bild, tauchen in der Masse unter. Vielleicht, weil sie nicht daran glauben, dass es einen Plan gibt, ein Bild, ein großes Ganzes, vielleicht weil sie nicht glauben, dass es auch auf sie, genau auf sie ankommt. Aber je mehr Teilchen zeigen, dass sie ihren Platz gefunden haben, desto leichter wird es fĂŒr alle. Mit dem Vertrauen auf die richtige FĂŒhrung findet letztendlich jedes Puzzleteilchen seine ihm eigene Aufgabe.

© Doris Wallner 2021-06-18

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