von Peter Rosenegger
Zu meiner Studienzeit gab es immer wieder im Juli oder August eine Periode von heißen aufeinanderfolgenden Sommertagen, deren Atmosphäre der österreichische Regisseur Ullrich Seidl in seinem großartigen Film “ Hundstage” so meisterhaft eingefangen hat.
Diese Tage verbrachte ich regelmäßig in dem von meinem Elternhaus im 18. Wiener Gemeindebezirk zu Fuß erreichbaren Schafbergbad, das seinerzeit privat geführt wurde und an dessen einmaligen süß-modriger Duft in den alten Holzkabinen ich mich bis heute erinnern kann.
In einem Fußballspiel hatte sich unser Mittelstürmer, ein originellerDauergast, ein hervorragender Fußballspieler, dabei Kettenraucher, spindeldürr und schon etwas älter mit einem runden Kugelbauch, der täglich bei seiner Ankunft eine Kiste Bier bestellte, das Bein verletzt, als er anstelle des Balles in die rostige und im hohen Gras unsichtbare Seitenstütze des Begrenzungsgitters drosch. Heftig blutend an der Seitenlinie liegend tobte er über die Mängel des veralteten Bades und beschrieb begeistert die Vorzüge des von der Gemeinde Wien geführten Bades Gänsehäufl, exakt auf der entgegengesetzten Seite der Stadt, an der alten Donau gelegen, in den leuchtendsten Farben.
Dort sei das Wasser wärmer und sauberer, das Schwimmbecken und der Fußballplatz größer, das Bier billiger, die Mädchen lockerer und williger.
Schon zeitlich am nächsten Morgen nahm ich die lange Anreise in Kauf, dort musste ich einfach hin. Mit Mühe erreichte ich im Sprint den hinteren Waggon der inzwischen längst aufgelassenen Straßenbahnlinie E2 und blickte vom Trittbrett stehend -direkt auf die Kniekehlen wohlgeformter gebräunter Mädchenbeine, die einem kurzen Röckchen entsprangen und in diesen erregenden Korkbadeschuhen mit hohem Absatz mündeten, deren Besitzerin hatte es sich in einer Nische zwischen Führerstand und Seitenwand bequem gemacht und blickte verträumt auf die Straße.
Ich stellte mich wie zufällig daneben und ließ bei jeder Erschütterung während der Fahrt mein Knie wie rein zufällig gegen ihre straffen Oberschenkel gleiten, jeden Moment auf das übliche leicht empörte Zurückzucken gefasst. Zu meiner freudigen Überraschung fühlte ich indessen bald einen klaren Gegendruck und dazu ein unsicheres Tasten ihrer Hand an meinem Hosenbund.
Ich wagte nicht mehr zu atmen aus Angst etwas falsch zu machen; stand wie gelähmt, die ganze lange Fahrt bis zur Endstation im Prater.
Dort angekommen drehte sie sich erstmals frontal zu mir um: Der Schreck war wie ein Keulenschlag: Die Frau schielte entsetzlich.
Wortlos fanden sich unsere Hände nach dem Aussteigen, wortlos liebten wir uns im Schutze eines uralten Praterbaumes, wortlos trennten wir uns an der Tageskassa.
Das Bad roch nach frischer Farbe, die Menschen schienen mir hier irgendwie anders, von der Badehose bis zum Dialekt; ich fühlte mich nicht wohl.
Bis zu meiner Versetzung ins Ausland blieb ich fortan meinem Schafbergbad treu.
© Peter Rosenegger 2021-04-12