von Andrea Brenner
Zu Beginn gleich die Frage aller Fragen: Können Niederösterreicher eigentlich genauso gut über Wien schreiben, wie echte Wiener? Ich behaupte einmal: ja!
Ich bin nicht in Wien aufgewachsen, habe nicht einmal dort gewohnt. Also habe ich auch keine besondere Verbindung zu einem bestimmten Grätzel. Ich bin quer durch Wien gefahren, hineingependelt. Beruflich, wie im Privaten. Doch in dem ein oder anderen Bezirk habe ich so einiges erlebt. Sehen wir uns einmal den Zweiten an.
Sowohl nach der Erstkommunion als auch nach der Firmung begab ich mich wie unzählige andere Christenkinder einer alten Tradition folgend in den Wiener Prater. Während mich als Siebenjährige noch das Tirolerrad beglückte, liebäugelte ich als Vierzehnjährige bereits mit dem Boomerang. Gegen Ende des Schuljahres besuchte ich mit meiner besten Freundin täglich den Prater. Wir kamen mit der Schnellbahn, fuhren Donau Jump, Extasy und Space Shot, nur zum Spaß. Dann fuhren wir wieder heim. War das ein Leben!
Als ich achtzehn Jahre alt war, kam ich mit meinem alten, klapprigen Ford in den Zweiten gezuckelt, um günstige, ausländische Zigaretten am Mexikoplatz zu erstehen. Sie schmeckten zwar widerlich, aber ich sparte immerhin Geld. Am lustigsten fand ich immer die Vorgangsweise, die mir von den Händlern aufgetragen wurde, um die Zigaretten unauffällig zu verstecken: fest in ein Plastiksackerl einwickeln, damit man auch ja die Umrisse erkennen konnte, unter den Arm klemmen und los gehts.
Mit fünfundzwanzig stieg ich dann wieder auf den Zug um. Ich feierte ausgelassen mit Freunden im Praterdome und wir fuhren erst frühmorgens mit den Öffentlichen nach Hause aufs Land.
Als ich zweiunddreißig Jahre alt war, fand ich mich im Prater wieder. Doch diesmal bei Karussell, Hochschaubahn, Grottenbahn und Co. Hä? Was war aus der draufgängerischen Achterbahnfahrerin geworden? Die gab es längst nicht mehr, zu ängstlich. Außerdem hat sich durch ihr Kind so einiges verändert. Sie genießt es, dem kleinen Spatz beim Fahren zuzusehen und mit ihm im Roller Coaster Restaurant zu speisen.
Mit vierunddreißig stand ich auf der Donauinsel, ich war mit dem Sprössling am Wasserspielplatz. Ich genoss die Aussicht auf den Zweiten, die Mexikokirche sieht mit Donau im Panorama noch viel eindrucksvoller aus.
Als ich fünfunddreißig war, saß ich mit meinem Mann im Palazzo. Toni Mörwald verwöhnte uns mit den feinsten Gerichten, während wir eine Akrobatenshow genossen.
Ich bin erwachsen geworden, habe mich in all den Jahren weiterentwickelt. Von der Jugendlichkeit und Freiheit im Prater über illegale Tschick zu gehobenen Bühnenshows. Klingt doch gar nicht mal so schlecht.
Was wird eigentlich passieren, wenn ich achtzig bin? Werde ich im Zweiten in einem Altersheim hocken? Oder werde ich Wien den Rücken gekehrt haben? Ich kann nicht in die Zukunft blicken, doch eines ist gewiss: Ich habe jede Sekunde genossen, die ich in diesem Bezirk verbringen durfte.
© Andrea Brenner 2020-07-23