Zerbrochener Spiegel

Anna B

von Anna B

Story

Meine Kehle schnürt sich zu und Tränen bilden sich in meinen Augen. Ein ersticktes Schluchzen entkommt mir. Ich kann kaum atmen, so sehr weine ich. Meine Kehle brennt, doch das ist nicht der schlimmste Schmerz, den ich fühle. Das Herz, welches in meiner Brust schlägt, schmerzt mehr als alles andere, was ich je gespürt habe. Ich schlage die Faust in das Glas des Spiegels vor mir. Einmal, zweimal und ein drittes Mal, unfähig, mich im Spiegel zu erblicken. Doch der Schmerz geht nicht weg, er wird nur schlimmer. Denn er wird nicht zurückkommen. Ich schlage wieder in den Spiegel. Meine Hand schon voller Blut und ich sollte Schmerzen haben, doch das einzige, was schmerzt, ist mein beschissenes Herz. Ich schreie auf vor Verzweiflung. Wieder landet meine Faust in dem Spiegel vor mir. Ich schlage so lange, bis keine einzige Scherbe des Spiegels übrig bleibt. Doch die Erinnerungen an seinen leblosen Körper verschwinden einfach nicht. Ich sollte an seiner Stelle dort liegen. Ich und nicht er. Wieso musste es gerade ihn treffen? Wieso konnte das Schicksal mich nicht mitnehmen? Er verdient den Tod nicht. Ich greife in die Scherben, da ich nichts mehr zum Einschlagen habe. Die Scherben schneiden sich in meine Haut, als ich sie zerdrücke. Noch mehr Blut entsteht. Doch das reicht nicht. Ich brauche mehr, um die schrecklichen Erinnerungen an den Unfall, an seine leblosen Augen, seine blasse Haut und sein stilles Herz zu vergessen. Im Augenwinkel sehe ich meine Mutter, welche mich besorgt ansieht. Wieder greife ich in die Scherben und zerdrücke sie. Wie viel Schmerz braucht es, damit ein Mensch stirbt? Denn genau das ist mein Wunsch. Tod umfallen, damit diese Schmerzen aufhören. Wieder will ich in die Scherben greifen, jedoch tretet meine Mutter hinter mich. Sie greift nach meinen Händen, ich öffne sie und lasse die Scherben fallen. Meine Hände sind Blut überströmt. Ich drehe mich zu ihr und wir lassen uns gemeinsam auf den Boden gleiten. Sie nimmt mich in den Arm und streicht behutsam meinen Rücken. „Wieso musste es ihn treffen, Mama? Wieso er, wieso nicht ich?“, schluchze ich. „Shh Baby, alles wird gut, du wirst es überstehen, auch wenn es jetzt schmerzt.“ Ob sie recht hat, weiss ich nicht. Alles, was ich weiss, ist, dass ich nichts mehr fühlen möchte. Dass dieser Schmerz endlich verschwinden soll. Dass diese Bilder an Erinnerungen das Weite suchen sollen.

Am liebsten würde ich etwas oder jemanden verprügeln, wieder etwas kaputt schlagen. Doch es brachte nichts. Es holt ihn nicht zurück. Und nun werde ich Schmerzen haben. Mich immer wieder fragen, wieso ihn, wieso nicht jemand anderen, wieso nicht mich? Ich möchte schreien, schlagen und einfach verschwinden. Aber ich bleibe ruhig in den Armen meiner Mutter liegen. Spüre mein Herz, welches schmerzvoll in meiner Brust schlägt und denke an ihn. Ihn, der mein Herz erwärmt und gleichzeitig schmerzvoll schlagen lässt. 

„Gegen Schmerzen der Seele gibt es nur zwei Hilfsmittel: Hoffnung und Geduld“. Pythagoras





© Anna B 2024-06-12

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Dunkel, Emotional, Traurig