von BlueEyed
Ein Montag-Abend, ich fahre von einem KollegInnen-Stammtisch heim. Die Ubahn-Station halb leer, das Publikum bunt gemischt, der Großteil trägt noch Maske, einige jedoch nicht. Die U-Bahn fährt ein. Ich schaue, wo der nächstgelegene Einstieg ist. Halte kurz inne, beim 4-er-Sitz direkt hinter dem Eingang sitzt ein Punk mit einer Flasche in der Hand. Soll ich bei einem anderen Einstieg einsteigen? Nein Blödsinn denk ich mir, frau soll ja keine Vorurteile haben.
Mir gegenüber steigt eine junge Frau ein, die gerade telefoniert. Nach ein paar Minuten höre ich hinter mir einen Polterer, der Punk hat sich scheinbar von seinem Platz erhoben und wankt mit seinem großen Rucksack und der Vodka-Flasche Richtung Ausgang in meine Richtung. Plötzlich bleibt er zwischen mir und der jungen Frau stehen, also mit dem Rücken zu mir, und beginnt die junge Frau, die immer noch am Telefon hängt zu beschimpfen: „Was schaust du so blöd du blöde F***“. Dabei kommt er erneut ins Wanken und streift dabei mit der Vodka-Flasche mein Schienbein. Aua das tut weh!
Aus einem Instinkt heraus, ergreife ich die Flucht, sprich begebe mich einen Ausgang weiter, andere Passanten tun es mir gleich. Der Punk stänkert die junge Frau weiterhin an, ich kann nur ihren Rücken sehen, mein Schienbein schmerzt. Im ersten Moment scheint es so als würde keiner was unternehmen.
Doch plötzlich steht ein junger Mann von weiter hinten in der U-Bahn auf und begibt sich in Richtung Punk und junger Frau. Er fordert den Punkt auf die junge Frau in Ruhe zu lassen. Darauf reagiert der Punk aggressiv, weitere Schimpfworte fallen und es schaut so aus, als wolle er auf den Mann losgehen und es zu einem Handgemenge kommen. Die Situation scheint zu eskalieren. Dann zieht der junge Mann plötzlich die Handbremse, der Zug bleibt stehen.
Gebannt verfolge ich gemeinsam mit den anderen U-Bahn-Passanten, was nun weiter geschehen wird. Der U-Bahn-Fahrer kommt von der Fahrerkabine nach hinten und bittet den Punk freundlich, aber bestimmt, dass er aussteigen soll. Interessanterweise hört der Punk auf den U-Bahn-Fahrer und verlässt ohne Widerstand die U-Bahn. Er bleibt am Bahnsteig stehen, seine Vodka-Flasche in der Hand und schaut zu wie die U-Bahn abfährt.
Puh, die Gefahr scheint gebahnt, wir atmen auf, aber der junge Mann lässt es nicht so einfach auf sich beruhen. Er blickt in die Runde und fragt: „Warum hat denn keiner was unternommen? Ihr habt doch gesehen, dass die Frau Hilfe braucht“. Im Speziellen richtet sich sein Blick auf die Männer im Wagon. Keiner reagiert, betretenes Schweigen, irgendwie fühlt man sich (mich eingeschlossen) schuldig und ertappt. Aber wäre es so gut gewesen mich als Frau einzumischen?
Dennoch zeigt es, dass es nur wenige Menschen gibt, die Zivilcourage zeigen und im Ernstfall helfen. Hut ab vor dem jungen Mann, der zwar keine Maske trug, aber dennoch eingeschritten ist. Neben einem nachdenklichen GefĂĽhl bleibt ein blauer Fleck auf meinem Schienbein zurĂĽck.
© BlueEyed 2022-10-27