Kinder des Olymp

Gunny Catell

von Gunny Catell

Story

Der Mime mit dem weißen Gesicht und dem weichen schillernden Gewand betrat die Garderobe und schritt verträumt die Stufen herunter. In seiner Hand hielt er eine rote Rose, die er versonnen drehte und deren Duft er immer wieder einatmete. „Was hast du Babtiste?“ fragte die Frau in dem Zimmer. „Nichts“ antwortete Babtiste. „Doch, du bist schön! Du weißt genau dass du schön bist, dass ich dich liebe. Du strahlst. Was ist das für eine Blume? Wir könnten miteinander so glücklich sein, wenn du nur wolltest. Aber du liebst mich ja nicht. Es ist doch so einfach zu lieben!“ Als ich das im Kino hörte wusste ich, dass ich gemeint war. Das war doch mein Leben!

Später hörte ich ihn auch sagen: „Die Menschen verstehen alles, dabei sind alles arme Leute, aber ich bin wie sie, ich liebe sie, ich kenne sie, ihr kleines Leben, das so große Träume hat. Ich möchte sie nicht zum Lachen bringen, ich möchte sie RÜHREN, Angst machen, zum Weinen bringen und das alles ohne zu reden.“ Ich war platt. Welche Worte kamen da aus dem Mund des Pantomimen, von dem man glaubte, er hatte gar kein eigenes Leben. Ich selbst spielte ja so oft Kasperltheater für andere Kinder, baute Puppenbühnen und fand mich nun in die Welt der Gaukler in Paris wieder.

Oft fuhr ich in meiner Jugend mit dem Zug nach München, um ins Kino zu gehen. Ich liebte alte Filme von Pasolini, Fellini, Romy Schneider und Fassbinder, die ich nur hier zu sehen bekam, aber dieser französische Klassiker war etwas Besonderes. Vier Stunden lang saß ich im Dunkeln und sah mein zukünftiges Leben gerade vor mir ablaufen. Ich schwebte in der Welt, in der ich leben wollte. Eine künstliche, aber sensible Welt, die auf die Gefühle anderer Rücksicht nimmt, in der alle Träume ausgelebt werden und man so sein darf, wie man ist.

KINDER DES OLYMP von Marcel Carné war unter schwierigen Bedingungen während des Zweiten Weltkrieges gedreht worden. Jean-Louis Barrault verkörperte diesen Pantomimen und den Menschen, der sich dahinter verbarg, so authentisch und auf den Punkt gebracht, wie ich noch nie einen Künstler gesehen hatte. Dieser Babtiste war an den realen Jean-Gaspard Deburau angelehnt, der die tragische Bühnenfigur des Pierrots erschuf, eines in fließende, weiße Gewänder gekleideten mondsüchtigen Verliebten, der schweigend leidet. Geschichtlich sind die Pierrots so etwas wie die Rivalen von Harlekin. Als ich einmal im Bellaria Kino den Film Tanz auf dem Vulkan sah, war ich von Gustaf Gründgens begeistert, der Deburau genial verkörperte.

Mit den Figuren des Harlekins und Clowns identifizierte ich mich mein Leben lang. Fellini Filme waren voll davon. Mit Spannung erwartete ich jeden neuen Film, jeden neuen Schelm. Casanova und Satyricon inspirierten mich, eine Woche in Venedig zu verbringen. Würde ich dort lernen, meine Scham zu befreien?

Wie ich einmal durch die engen Gassen schlich, verfolgte mich ein Harlekin. Als ich mich erschrocken umdrehte, verneigte er sich lachend. „Keine Angst“ rief er „es ist alles nur Spaß!“

© Gunny Catell 2020-06-15

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