Zur Weihnacht

MISERANDVS

von MISERANDVS

Story

Im Büro war es vor Corona üblich, vor Weihnachten zusammenzuhocken. Manche haben Kekse gebacken, andere Fusel angeschleppt. Mir war das immer zuwider. Gezwungenes Zusammensein mit Leuten, die dir unterm Jahr gerne mal ein Ei legen und hinter deinem Rücken lästern. Und da ich immer mit dem Auto fuhr, hab ich auch nix gesoffen. Ich war da immer rasch weg. Zur letzten Feier kommt mein Abteilungsleiter in der Früh. “Kannst du vielleicht so lieb sein und was im Web suchen, das wir – für die Stimmung – vorlesen können? Eine Weihnachtsgeschichte vielleicht? Und mit ‘wir vorlesen’ mein ich dich.“ Ich nicke. Und ich denke: Was soll ich suchen? Ich schreib schnell selber was. Also reime ich ein Weihnachtsgedicht.

Als ich meinem väterlichen Freund und Chef den Zettel reiche, auf dem mein Gedicht steht, liest er, schmunzelt, dann errötet er und flüstert: “Das ist total versaut! Das lese ich nicht laut.” Da muss ich lachen. Mein Gedicht blieb wirklich unvorgetragen. Ein wenig schade, wie ich bis heute finde. Verkapptes Pack!

Später beginnt die zweite Feier im kleinen Rahmen. Kollegen nur, die Freunde sind. Mein Kumpel sieht mich an, fragt: “Das Essen? Hast du dran gedacht?” Ich nicke. Jemand sollte tragen helfen. Zu dritt schleppen wir in großen Taschen und Scherben heran, was ich am Vortag bis in die Nacht frisch – singend und popowackelnd – in meiner Küche gezaubert hab. “Du meine Güte!”, raunen sie, als sich die Mengen entfalten. Von Gulasch über Chili, von Guacamole über verschiedene Salate und zwei, drei Aufstriche – es soll nur keiner hungrig bleiben. Ich will nicht geizig wirken. Dann beginnt das große Fressen. Und die Gesichter strahlen, schmatzend, schmausend, genießend. “Ach bitte, noch etwas für mich!” und “Einmal nehm‘ ich noch. Es ist so gut.” Ich freu mich heimlich, bin doch verlegen – zugegeben. Ja, kochen kann ich – keine Frage. “Türk! Nicht! Da ist Schmalz drin!”, ruf ich meinem Freund-Kollegen zu, der an das Gulasch will. Er überlegt. Dann langt er zu: “Ich muss das kosten. ER wird’s verzeihen.” Dann haut er rein, zwei volle Teller. “Gott, ist das gut!” sagt er mit bamstig-dicken Backen.

Und als wir alle herrlich vollgefressen, da lachen wir und plaudern und wir trinken – die einen Wein, ich Mineral und Saft. “Wer will was von den Resten?”, frage ich. Die Mädels springen auf, und beinah balgen sie sich um die Schüsseln: “Bist du nicht eh schon dick genug? Nimm deine Pfoten weg!”, keift eine eine andre an. Die Gruppe brüllt vor Lachen.

Ich setzt mich Stuhl um Stuhl zur Türe näher hin, dann sag ich: “Ihr Lieben, ich muss los!” Wie immer, will ich gehen, wenn es am Schönsten ist. “Ach, nein, ein bisschen noch!” “Dispiace!” Sie schauen traurig, weil ich nie zum Ende bleib. Und wie ich gehen will, da ringen sie mich ein, es fassen Hände mich, und warme Lippen drücken sich an meine Wangen. “Ich wünsch euch frohe Tage. Habt euch lieb! Und Küssen nicht vergessen!”, sag ich, winke, und verschwinde eilig.

„Der Narr ist traurig, wenn der Vorhang fällt.“

© MISERANDVS 2021-06-09

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