Zwei starke Frauen

Anatolie

von Anatolie

Story

Wir schreiben das Jahr 1913: Mein Vater wurde als dreizehntes und vorletztes Kind einer Bauernfamilie geboren. Nach ihm kam noch die kleine Nannerl, aber sie wurde nur vier Jahre alt. Die Knaben waren in der Überzahl. Luisl, Franzl, Toni, Michel, das sind die wenigen Namen, die ich mir aus Papas Erzählungen noch gemerkt habe. In der stattlichen Geschwisterreihe gab es nur vier Mädchen. Die „Mimi“ war ein starkes Frauenzimmer, so berichtete er mit verklärtem Blick, wenn er wieder einmal in seiner Erinnerungskiste kramte. „Als ich ein kleiner Stöpsel war, packte sie mich gerne an den Haaren und konnte mich so vom Boden hochziehen.“ Mimi war fesch und kräftig wie ein Kerl, zog mit Ochs und Pflug und bei jeder Witterung aufs Feld hinaus. Leider war auch ihr kein langes Leben vergönnt. Sie starb als junge Frau infolge eines Gebärmutterleidens, vermutlich hatte sie sich einmal während ihrer schweren Arbeit auf dem Feld erkältet.

Ihre Schwester, Rosa, die von allen nur „die Rosl“ genannt wurde, war wohl brav und fleißig, doch kaum tauchte ein stattliches Mannsbild am Wegesrand auf, legte sie ihre Sense nieder und ward für eine Weile nicht mehr gesehen. Sie und einen meiner Onkel habe ich noch gekannt. Als ich zur Welt kam, war mein Papa bereits Mitte 50 und meine nächsten Verwandten auch schon um einiges älter. Tante Rosa habe ich als lustiges Weiblein mit Schürzenkleid und Kopftuch in Erinnerung. In den 1970er Jahren war das noch die Alltagstracht vieler älterer Frauen auf dem Land. Sie wurde am 6.6.1906 geboren, ein Datum, auf das sie immer sehr stolz war. Sie besaß lange kein Telefon, so ist es immer eine Glückssache gewesen, ob wir sie bei einem Besuch antreffen würden oder nicht. Wenn der Reisigbesen aufrecht an die Türe gelehnt war, wussten wir gleich: Rosl ist wieder einmal nicht daheim. Bis ins hohe Alter ging sie gerne tanzen und auf Volksfesten unterhielt sie ganze Tischgesellschaften mit ihren unverwechselbar legeren Sprüchen. Dabei war ihr Leben alles andere als leicht verlaufen, es verwundert, dass sie trotz der vielen Schicksalsschläge ihren Humor nie ganz verloren hat. Sie war dreimal verheiratet, dreimal wurde sie Witwe. Sechs Kinder hat sie bekommen, vier davon sind noch im Kleinkindalter verstorben. Der Tod eines Jungen war besonders tragisch, er fiel als Dreijähriger in den Hofbrunnenschacht. Gott hat all ihre Söhne zu sich genommen. „Er hat mich wohl verflucht“, erzählte sie uns einmal ganz offen. Er, das war ihr früherer Verlobter. Sie war ihm schon lange versprochen gewesen, doch einen Sommer vor der Hochzeit verliebte sie sich in einen anderen. Sie wurde von ihm schwanger, ihn hat sie schließlich auch geheiratet. „Du sollst nie einen Buben haben“, so soll ihr verschmähter Bräutigam damals zu ihr gesagt haben.

Rosl überspielte lachend ihren Kummer. „Zwei Ungeheuer sind mir geblieben“, scherzte sie und hakte sich links und rechts bei ihren Töchtern ein. Das war Anfang der 1980er Jahre auf einem dieser Zeltfeste, wohin sie immer so gerne ging. Meine Cousinen Franzi und Peppi waren schon gestandene Frauen, beide bewirtschafteten einen Bauernhof und hatten Kinder in meiner Generation.



© Anatolie 2025-04-11

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Herausfordernd, Hoffnungsvoll, Reflektierend, Traurig
Hashtags