von Daniela Noitz
Nichts mehr wird je wieder so sein, wie es vorher war, wie es Gerade eben noch war. Ich werde niemals mehr so sein, wie ich vorher war, wie ich gerade eben noch war, denn dazwischen, zwischen dem Gerade eben und dem Jetzt, da war eine Begegnung.
Was war geschehen? Was hĂ€tte ich zu berichten? Nichts, nichts weiter, als dass die Dinge ihren Lauf nahmen, unberĂŒhrt und unbeeindruckt, störrisch und eigensinnig. Die Welt war die gleiche, Gerade eben und Jetzt, nur meine Welt, war völlig durcheinander geraten. In aller Stille und Ruhe, mit einer kleinen Bewegung, die meine Hand erfasste, wirbeltest Du durch mich gleich einem Wirbelwind, kehrtest das Unterste zuoberst, bliest den Staub aus verkrusteten GedankengĂ€ngen und legtest mir eine neue Sicht frei, SchĂ€tze und Geheimnisse, Möglichkeiten und Ideen zu erwecken, von denen ich noch nicht einmal selber wusste, dass es sie gab.
Du bist in der Begegnung eingetreten in mein Leben und in mich, sacht und behutsam, und lehrtest mich mich neu zu sehen. Gerade eben war das, und ich sitze hier, an meinem Steg, blicke mich um, auf die mir vertraute Szenerie, und es ist mir, als wĂŒrde ich sie zum ersten Mal sehen, und ich sah sie auch zum ersten Mal, zum ersten Mal mit den Augen derer, der eine Begegnung widerfahren war, der Du widerfahren warst. Kein Stein blieb auf dem anderen. Keine, noch so gut bewachte Gewohnheit, hielt dem Ansturm der zĂ€rtlichen Annahme stand.
Gerade eben war es noch so, heil und unversehrt. Jetzt sind sie wieder aufgerissen, die alten, bloĂ notdĂŒrftigst verbundenen Wunden, waschen sich rein, und Deine heilenden HĂ€nde legen sich darauf, greifen in sie hinein, sie vom letzten Unrat zu befreien, ohne Scheu Dich mit meinem Damals zu beflecken, um mein Heute annehmen zu können. Die Wunden zu heilen, mit Deinem Kuss, und die Narben, die bleiben, gemahnen an das Gerade eben. Sie sollen bleiben â und wenn Du mich annehmen kannst, in meiner Verwundetheit und Verwundbarkeit, dann nimmst Du mich wie ich bin. Du hast mich angesehen, und ich wuĂte, Du machst keine Abstriche, gehst keine faulen Kompromisse ein. Du nimmst mich an, in meiner Abgelebtheit ebenso, wie in meiner Lebendigkeit.
Gerade eben war noch alles so normal, und Jetzt, nach der BerĂŒhrung im Wir, jetzt habe ich den Weg aus den Augen verloren. Oder hat er sich einfach nur verschlossen, weil er der von dem Gerade eben noch war, der fĂŒr die, die ich im Jetzt bin, nicht mehr stimmig ist? Fand den einen Weg verschlossen, und konnte noch keinen neuen ausnehmen. Und die Sicherheit verblasste. War es denn wirklich geschehen, dieses zwischen dem Gerade eben und dem Jetzt? War es vielleicht doch nur ein wunderbarer, ernster Traum gewesen? UnwillkĂŒrlich zog ich mich mehr in mich zusammen, und als ich meine rechte Hand auf meine linke Schulter legte, durchzuckte mich ein kurzer, stechender Schmerz. Hier hatte sich Deine BerĂŒhrung eingebrannt, tief in mein Fleisch gebrannt, und ich wuĂte, dass es wahr war, das zwischen dem Gerade eben und dem Jetzt.
© Daniela Noitz 2023-12-23