Um zu Tempel 20, dem Kakurinji, zu gelangen, geht es bald darauf in die Berge, durch Mandarinenplantagen und Bambuswälder, über Wurzeln und Treppen. Letztere bestehen aus unterschiedlich hohen Stufen in variierenden Abständen. Schwere, unebene Steine oder rund gehauene Balken im Boden sind eine Belastungsprobe für Gelenke und Muskulatur. Aber es lohnt sich. Oben begrüßen den Pilger ein herrlicher Ausblick auf Fluss und Tal und ein weitläufiger, dicht bepflanzter Garten mit allerlei Statuen und dreistöckiger Pagode. Fernab aller Orte und Straßen ist die Stille vollkommen.
Und es wartet ein Abstieg, der es in sich hat. Mein Schildkrötenpanzer bringt mich mehr als einmal aus dem Gleichgewicht. Steine mit alten Maßeinheiten darauf und Jizou-Statuen (Bodhisattva und Schützer für Reisende) weisen den Weg ins Tal. Dort angekommen, überquere ich den Fluss, um dann seinem Verlauf in den nächsten Ort zu folgen. Allein marschiere ich die enge Straße entlang und schaue den Bergen dabei zu, wie sie sich im Licht der untergehenden Sonne verfärben. Doch das stete Singen des Glöckchens erinnert mich daran, das Kouboudaishi immer an meiner Seite ist.
Im Ort vertue ich mich in der Straße und lande im Hinterhof einer älteren Dame, die mir nicht nur den richtigen Weg zu meiner Unterkunft weisen kann, sondern mir auch noch eine Tüte frisch geernteter Mandarinen mitgibt. So herzlich. Akai-san, die Leiterin der Herberge, kümmert sich rührend um mich und fährt mich am kommenden Morgen zu einem Tempel in der Nähe, dem Isshukuji. Er ist keine offizielle Ohenro-Stätte, doch soll Kouboudaishi ihn besucht haben. Von hier aus verläuft eine veraltete Route zu Tempel 21. Akai-san verspricht mir, dass dieser Weg viel schöner sei als die heutige Strecke. Ich folge ihrem Rat.
Schnell bereue ich diese Entscheidung, denn der Weg ist steil und anstrengend. Nach einer halben Stunde ständigen Grübelns, ob ich nicht besser umkehren soll, verfliegen die Zweifel allerdings, denn der Anstieg für heute ist geschafft. Von nun an geht es fast ausschließlich gerade weiter durch eine wunderschöne Waldlandschaft. Dicht ist das Astwerk und verzweigt das Wurzelnetz. Immer wieder ist der Wald durchsetzt von Bambus, Felsen ragen urplötzlich aus der Erde und weitere Jizou begleiten mich. Das Glöckchen klingelt und die Sonne scheint. Für Momente wie diesen wollte ich hierher.
Aus anderer Richtung als üblich erreiche ich den Tairyuuji. Atemberaubend gelegen, mit einem großen Gelände, einer gewaltigen Statue des Kouboudaishi auf der Bergspitze und einer Seilbahn, die ihn mit dem Tal verbindet. Hier treffe ich auf Alex aus Portugal und wir gehen gemeinsam zu Tempel 22. Auch er nennt mich eine Schildkröte und ich fühle mich an Yuki erinnert. Im Tal begrüßt uns prompt eine Statue aus lauter aufeinandergestapelten Schildkröten, bevor wir zum Byoudouji gelangen. Hier hat man Bänder in allerlei Farben aufgehängt, die das Tor mit der Haupthalle verbinden und sich über das Tempelgelände erstrecken.
Alex und ich trennen uns. Für mich geht es in die Unterkunft, morgen früh dann mit dem Zug weiter nach Süden. Nach Minami. Und zum Yakuouji, Tempel 23.
© Karina Pohlmann 2025-02-21