Alles braucht seine Zeit

In der Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel gab es ein Themenfeld: Kundenberatung in komplexen Situationen.

Ich hatte mich immer wieder gefragt, was das bedeuten soll. Ist der Kunde komplex, das was er sucht oder das Umfeld? Oder vielleicht sind es alle drei Faktoren? Was ist, wenn alle Seiten ihr eigenes Päckchen zu tragen haben? Dann kommt es zu einem lustigen Zusammenspiel von Welten.

Weihnachten ist die Hauptsaison im Einzelhandel. Genervte Kunden, wenig Ware und genervt lächelnde Mitarbeiter. Aber es ist auch die Zeit der Liebe und der Familie. Oder so.

Denn wenn die Tochter von zu Hause ausgezogen ist und mit der Mama Dekoration kaufen geht, dann kann nur ein Mitarbeiter helfen: “Entschuldigen Sie. Können Sie uns helfen? Meine Tochter sucht für sich einen Adventskranz und sie mag meine Vorschläge nicht.” die Mutter stand mit zwei Kränzen im Arm vor mir und schaute mich verzweifelt an. Ihre Tochter stand im Hintergrund und verschränkte die Arme: “Ich will halt nicht, dass es bei mir aussieht wie bei dir!” zischte sie ihrer Mutter zu. Diese verdrehte die Augen. Ich lächelte beide nett an. Ich nicke der Mutter beschwichtigend zu, die sofort erleichtert ausatmet und wende mich an ihre Tochter: “Haben Sie sich etwas Bestimmtes vorgestellt?” Sie schüttelt den Kopf: “Ich weiß noch gar nicht was mein Stil ist.” in diesem Moment kommt die automatische Durchsage, dass unser Laden in zehn Minuten schließt. Die Zeit rennt. Mit gezielten Fragen versuchte ich die junge Frau dazu zu bewegen, mir zu sagen, wie ihre Möbel aussehen. Sie antwortete sporadisch, während ihre Mutter sie drängte sich doch endlich zu entscheiden! Ich präsentierte der jungen Damen Kränze und Ideen, doch sie war nicht einverstanden. Pünktlich zum Feierabend kam wieder die automatische Ansage, dass wir nun schließen. Doch die Tochter bewegte sich kein Stück. Ich atmete durch. Ich werde mir hier Zeit nehmen müssen! Ich fragte immer weiter nach und hatte alle Ideen versucht! Von Hausfrauendekor, bis hin zu on Vogue, war alles dabei!

Plötzlich ging das Licht über unseren Köpfen aus. Die Mutter wurde immer lauter und ich versuchte sie zu beruhigen: “Alles braucht seine Zeit. Und die erste eigene Wohnung ist eine große Veränderung.” hinter meinen Kunden lief gerade unsere Kassiererin mit der Kassette lang. Schaute auf uns drei, blieb angewurzelt stehen, drehte um und flitzte zurück zur Kasse. Kurze Zeit später war das Licht auch wieder an. Ich bat meine junge Kundin, ihre Augen zu schließen und mir zu sagen, was sie mit Weihnachten verbindet: “Orangen, der Baumschmuck von Mama, das gemeinsame Essen,…” so zählte sie auf. Ich sah die Mutter an, nahm eines der anfänglichen Kränze aus ihrer Hand und hielt sie der Tochter hin. Sie öffnete wieder die Augen und sie Strahlte auf den Kranz. Das war der Kranz, den sie wollte! Ihre Mutter holte verärgert Luft, doch ich schüttelte nur den Kopf. Alles braucht seine Zeit.