Als der Tafelspitz stumpf wurde

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by diekoernerinschreibt

Story

Christiane Hörbiger war eine Schauspielerin, die man heutzutage wahrscheinlich als Nepo-Baby bezeichnen würde. Wer diesen Begriff nicht kennt, hierbei handelt es sich um Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die aus einer bereits fest in der Öffentlichkeit etablierten Familie stammen – Vetternwirtschaft zu Deutsch.

Als Kind, das seinen Namen niemals auf irgendwelchen Tassen, Blöcken oder Stickern wiedergefunden hat, habe ich mich immer gefreut, eine weitere Christiane zu finden. Die erste Person, die ich als „noch eine Christiane“ wahrgenommen habe, war Christiane Hörbiger. Welchem Film ich diese Erkenntnis zu verdanken hatte, weiß ich nicht mehr, aber die Vornamensynchronität reichte für mich vollkommen aus, um mich näher mit ihr auseinanderzusetzen. Sie erinnerte mich immer ein wenig an meine Oma, was sie mir wahnsinnig sympathisch machte, sie wurde als Schauspielerin verehrt, spielte Theater und erfüllte damit viele Kriterien, die in meinen Augen als großartig galten. Ich liebte ihre Filme, auch wenn ich im Teenageralter sicher nie zugegeben hätte einen Film auf ORF 2 anzusehen, geschweige denn mich darauf zu freuen.

Geändert wurde mein Verhältnis zu Christiane Hörbiger an einem Abend im Theater im Salon, dem ehemaligen Hörbiger Haus in Wien, in welchem nun Lesungen und Veranstaltungen abgehalten werden. An diesem Abend sollten Christiane Hörbiger und ihre Schwester Maresa eine Lesung abhalten. Was genau sie gelesen haben, weiß ich nicht mehr. Gemeinsam mit meiner Mutter und meiner Oma – die, an die mich Christiane Hörbiger oft erinnerte- besuchte ich die Veranstaltung und drückte den dortigen Altersdurchschnitt um mehrere Jahrzehnte.

In meinem Kopf hatte ich mir diese Begegnung ausgemalt. Sie würde ganz genau so sein wie in den Filmen: so ein bisschen wie meine Oma, nahbar, freundlich, sich ihrer eigenen Tragweite bewusst. Vielleicht war das Bild einfach zu getrübt von meiner kindlichen Bewunderung.

Christiane Hörbiger war eine Erscheinung, auch an diesem Abend. Sie strahlte eine unglaubliche Präsenz aus, als sie den Raum betrat. Aber sie war nicht nahbar und nicht freundlich. Ihrer eigenen Tragweite war sie sich allerdings sehr wohl bewusst. Die Stimmung war kalt, sie verzog keine Miene, las ihre Texte, weil es ihre Aufgabe war, nicht weil sie einen Bezug dazu spürte oder das Publikum unterhalten wollte. Die einzige Emotion, die man während des Abends verspürte, war der sehr surreale Moment, als sich einer ihrer zwei Hunde am Bühnenvorhang erleichterte und sie sich ungläubig zu ihm wandte.

Seine Helden soll man nicht treffen, habe ich einmal gehört und vielleicht stimmt das. Allerdings hätte ich dann nicht das Bild einer Burgschauspielerin im Kopf, deren Mops neben ihr auf den roten Bühnenvorhang pinkelt. Und das war eigentlich der perfekte Abschluss für meine Bewunderung für eine Frau, die zwar ihr Handwerk perfekt beherrschte, aber auch einen Mops, dem das alles komplett egal war.

© diekoernerinschreibt 2023-01-30

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