by lilyrisch
Es ist der Tag, an dem ich merke, dass die Nächte wieder früher beginnen und sich die Sonne immer schneller verabschiedet, sich in einem dunkleren, goldenen Licht und in einem flacheren Einfallswinkel über die Landschaft legt. Ich fange Feuer beim Anblick des Abendrots, das manchmal regelrecht in allen Farben glüht, als würde die Glut nach der Hitze des Tages noch einmal auflodern bevor sie unter dem Sternenhimmel erlischt. Die trotzdem noch hohen Temperaturen lassen zu den in Magenta getauchten Wolken auch tiefschwarze hinzukommen, in denen sich Blitz und Groll entladen. Stürme fegen abends durch die Baumkronen, wodurch bereits vereinzelt die ersten Blätter zu Boden tanzen. In meiner Magengegend rumort es und ich spüre deutlich, dass sich der Sommer seinem Ende zuneigt und der Herbst bald ins Land ziehen wird. Die bunte Jahreszeit ist mir zwar die liebste, gleichzeitig schleicht sich Ende August aber immer auch dieser leichte Hauch von Melancholie in meine Gedanken, die noch ein wenig in den letzten Monaten verweilen und das Vergangene Revue passieren lassen.
Ich halte inne, bevor ich meinen Badeanzug vom Wäscheständer nehme, auf dem er unzählige Male am Ende eines Badetages zum Trocknen gehangen hat. Er riecht leicht nach Fisch und kein bisschen nach Meersalz, aber das stört mich nicht. Meinen Sommer am Fluss liebe ich mindestens genauso sehr, oder eher noch viel mehr als an weißen Sandstränden. Ich denke an die Entenmama und deren neun Kinder, denen ich vom Wollknäueldasein bis hin zum Flügge werden zusehen durfte. An die unzähligen Fische und Fischchen, die mit mir geschwommen sind und mich an den Füßen kitzelten, sobald ich sie am Steg ins Wasser baumeln ließ. Auch an die Grille denke ich, die ihr Konzert direkt neben mir eröffnet hat, sodass ich sie live beobachten konnte, während ich entspannt in meiner Hängematte schaukelte. Und an den Schwan, der den ganzen Sommer lang alleine seine Kreise zog und zuletzt plötzlich dabei begleitet wurde. Schwäne bleiben für immer ein Paar. Der Beginn einer großen Liebesgeschichte also, den ich vom Uferrand aus als stille Betrachterin miterlebte.
Der Sommer hatte eine unspektakuläre Schönheit. Tiefe Traurigkeit, Angst und große Freude lagen nahe beieinander und haben sich schlussendlich in Dankbarkeit und der Hoffnung, dass zum Glück wieder alles gut wird, miteinander verbunden. Der Blick für die kleinen Dinge wurde groß, die wirklich wichtigen kristallisierten sich deutlich heraus und ein Gefühl der Zufriedenheit damit, was man hat, machte sich in mir breit. Ich habe viel. Viel Liebe auf allen Ebenen. Aber eigentlich „habe“ ich sie nicht, weil man Liebe nicht besitzen kann.
Ich liebe und ich werde geliebt. Darum geht es.
Ein Sommer voller Liebe neigt sich also dem Ende zu.
Schöner könnte der Herbst nicht beginnen.
© lilyrisch 2023-08-28