Annys Reise mit 22/4 im HandgepÀck / Teil 2

Anny Baumann

by Anny Baumann

Story
Wienerwald Niederösterreich Steiermark Österreich 1971 – 2025

Donnerstag, 30. Oktober 1971

“Frau Baumann! Frau Baumann! Wir brauchen …. eine Unterschrift!”
Im Laufschritt ging es durch den kalten, sterilen Gang zum OP. Von Hektik und quĂ€lenden Schmerzen gepeinigt, lag meine Mutter festgeschnallt auf einer harten Liege. Ihr großer Bauch ragte zwischen den Gurten zur Decke. In diesem Moment ging es um Leben und Tod.

Notkaiserschnitt! Meine Mutter erlitt ein Trauma, denn beim Einsetzen des Tubus wurden ihr die oberen SchneidezĂ€hne ausgeschlagen. Was fĂŒr ein Start.

Als SĂ€ugling hatte ich eine schöne Zeit. Ich wuchs und gedieh, und die sichtbaren Wunden meiner Mutter verheilten. Doch das Trauma saß tief in ihr.
Wir waren eine kleine Familie, und wenn ich mich zurĂŒckerinnere, war es sehr harmonisch – bis zum 17. Oktober 1973.
Ich wusste es noch nicht, aber an diesem Tag verÀnderte sich alles in meinem Leben. Mein kleiner Bruder wurde geboren, und alle feierten seine Ankunft.

Meine Mutter erhielt im Krankenhaus einen Blumenstrauß vom damaligen Landeshauptmann, und in der Zeitung stand: “Der Nachfolger ist da!” Zur Geburt schenkte mein Vater meiner Mutter einen funkelnden Diamantring in Weißgold.

Ich war eine stolze zweijĂ€hrige Schwester und verliebte mich so sehr in meinen Bruder, dass ich ĂŒber ihn wachte und niemanden an ihn heranließ.

Wir wuchsen im Wienerwald auf, umgeben von Mischwald und einem plÀtschernden BÀchlein.

Doch allmĂ€hlich wendete sich das Blatt: Ich bemerkte, dass meine Mutter anders mit meinem Bruder umging – auf eine Weise, die mir fremd war. Damals konnte ich es nicht benennen, aber im Laufe der Jahre erkannte ich, dass sie eine tiefere Bindung zu ihm hatte als zu mir.
Ich war schlau und erkannte sehr bald: Wenn ich meiner Mutter half oder sie unterstĂŒtzte, freuten sich Mama und Papa.

Also beobachtete ich genau, was gebraucht wurde – eine Schublade öffnen, etwas aufheben, einfach still sein, wenn Mama nervös war oder es sich wĂŒnschte. Schön artig sein und meine eigenen BedĂŒrfnisse zurĂŒckstellen.

Ist doch eigentlich unvorstellbar, was man als junges Wesen macht, um zu gefallen und sich zugehörig zu fĂŒhlen.

Also tat ich es, denn es fiel mir ja nicht schwer, und schließlich erhielt ich ab und an das, wonach ich so suchte.

So wurde ich zur Expertin darin, die WĂŒnsche meiner Umgebung von den Lippen abzulesen.

Was aus dieser Erfahrung wurde und was es mit der 22/4 aus dem ersten Kapitel auf sich hat, das werdet ihr bald erfahren. Eure Anny



© Anny Baumann 2025-04-17

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