by Fargo79
Mein persönliches Unwort des Jahres: „Systemrelevant“
Was soviel bedeutet wie „bedeutsam für ein künstliches Gebilde“.
Ständig bekomme ich zu hören wer nun also relevant genug ist, damit ich hier auf dem Sofa sitzen darf ohne gleich zu verhungern.
Nachdenklich mische ich mir eine Flasche Weißwein mit Multivitaminsaft, wohl wissend, dass das ein Sakrileg ist, aber es heißt ja auch ständig dass man derzeit neue Wege gehen muss.
Dann mache ich mir eine Dose Pringles auf, denn es braucht ja auch genug Energie um den eben angesprochenen Weg zu gehen.
Lustigerweise habe ich seit Jahren keine Chips mehr gegessen, aber was tut man nicht alles um die Wirtschaft zu stützen.
Der Fernseher, momentan ständiger Begleiter, rät mir zu Verdauungsmittel damit sich mein nicht vorhandenes Kind nicht über meine ebenfalls nicht vorhandenen Flatulenzen lustig machen kann.
Ich überlege das Risiko einzugehen und mich der Katastrophen suchenden Medienlandschaft zu entziehen und eventuell einen Film anzusehen.
Aber was wird mit mir passieren wenn ich mich gänzlich dem System entziehe?
Was wenn ich eine Pressekonferenz am Vormittag verpasse?
Was passiert wenn ich nicht die täglichen Horrorzahlen und die apokalyptischen Prophezeiungen ignoriere?
Nachdenklich schenke ich mir nach und wische ein paar Chips Krümmel vom T-Shirt auf dem folgender Satz steht: „Man muss sich bewegen, um zu merken, dass man in Ketten liegt.“
Liegen die die nicht systemrelevant sind nun in Ketten?
Ich überlege ob ich noch genug Wein habe um mir die kommenden Wochen erträglich zu saufen.
Natürlich sollte ich jeden Tag Sport machen, meinen Alltag strukturieren, Homeoffice betreiben, mit Schutzmaske bekleidet Einkaufswagen durch die Gegend schieben und zumindest ansatzweise versuchen irgendwie SYSTEMRELEVANT zu sein.
Aber genau dieses System in dem wir leben hat es unmöglich gemacht den Nachbarn wirklich zu kennen.
Es hat Unmenschlichkeit und Konsumgeilheit in die Köpfe vieler gepflanzt.
Die die jetzt „relevant“ sind, erhalten dieses Wunderland für uns alle am Leben.
Natürlich bin ich dankbar dass es Ärzte gibt die sich um Kranke kümmern.
Natürlich beneide ich die Menschen im Supermarkt und sonst wo nicht die sich den Arsch aufreißen damit alles läuft. Aber das war schon vor dem Virus so.
Aber fühle ich mich „systemrelevant“?Die Antwort ist ein klares NEIN.
Ich schenke mir den Rest der zweifelhaften Mischung ein, die Chips sind längst verdrückt.
Letztendlich durchwandert mich die Erkenntnis dass ich zu diesem System nichts beitrage, außer Steuern zu zahlen und zu konsumieren.
Ob das Gefühl in mir nun positiv oder negativ ist weis ich noch nicht genau. Vermutlich ist es Zeit auf Whiskey zu wechseln.
Was wenn ich nun also nicht relevant für die große Maschinerie des Konsums und der Gesellschaft bin?
Dann stellt sich wohl die Frage was ich hier eigentlich mache….
Aber zumindest habe ich nun genug Zeit über genau diese Frage nachzudenken….
© Fargo79 2020-04-08