Von Murano fahren wir mit dem Vaporetto nach San Michele.
Auf dieser fast rechteckigen Insel befindet sich der Friedhof von Venedig. Er ist mit einer gewaltigen roten Backsteinmauer umgeben.
Durch ein gotisches Tor betreten wir diesen speziellen Ort.
Die Geschichte des Friedhofs beginnt im Jahre 1804. Damals kam es zu einem Wendepunkt im Umgang mit den Toten. Sie wurden nicht mehr neben den Kirchen begraben, sondern abseits davon.
Kaiser Napoleon I hat bestimmt, dass die kaum besiedelte Insel San Cristoforo, der zentrale Friedhof fĂŒr Venedig wurde.
Wegen Platzmangels verband man 1837 durch AufschĂŒttungen die Insel San Cristofero mit der Insel San Michele und so entstand die angeblich exklusivste und schönste RuhestĂ€tte der Welt.
Platzmangel gibt es auch heute noch. Derzeit endet die Ruhezeit fĂŒr eine Grabstelle meist nach rund zehn Jahren. Nur wenige können sich Familiengrabstellen mit hundertjĂ€hriger Ruhezeit leisten.
Heute lassen sich vor allem gut situierte Venezianer, die sich den Luxus leisten können, auf San Michele bestatten.
Die Insel ist auch die letzte RuhestĂ€tte fĂŒr bekannte Kaufleute und Diplomaten sowie KĂŒnstler, Komponisten und Schriftsteller. Zum Beispiel haben hier Igor Stravinsky und seine Frau ihr Grab.
Aber es geht uns nicht um die GrÀber prominenter Menschen, sondern um die friedliche Stimmung und das einmalige Ambiente.
Viele GrabstĂ€tten sind gepflegt und mit Blumen geschmĂŒckt, manche sind verwahrlost und verlassen. Die Inschriften und die ausgeblichenen Fotos erzĂ€hlen von Schicksalen und berichten Geschichten aus lĂ€ngst vergangener Zeit.
Zerbrochene Grabplatten und umgefallene Grabsteine wechseln sich ab mit Scharen von Engeln aus weiĂem Marmor. Es gibt einen eigenen Bereich mit KindergrĂ€ber, an dem wir leise vorbeigehen, um ihre Ruhe nicht zu stören.
Ein anderer Bereich ist AuslĂ€ndern vorbehalten, die in Venedig verstarben oder hier beerdigt werden wollten. Im Ă€lteren Teil des Friedhofs gibt es abgegrenzte Abteilungen fĂŒr verschiedene Konfessionen.
Wir besuchen auch das Kloster der Kamaldulenser mit seinem wunderschönen romanischen Kreuzgang. Angeblich leben hier noch einige Mönche, aber sonst ist die Insel unbelebt.
Am Abend verwandeln die unzÀhligen Grabkerzen die Insel in ein geheimnisvolles Lichtermeer. Wenn dann die knirschenden Schritte der Besucher verhallt sind, herrscht wieder ewiger Frieden.
© Gabriele Koubek 2022-02-18