Der frühe Vogel fängt den Wurm

Bunt ist das Leben, ist mein erster Gedanke an diesem Tag und trotzdem quäle ich mich mehr schlecht als recht um fünf Uhr morgens aus meinem Bett. Verschlafen und zerzaust, watschle ich ins Bad. Ach du liebe Güte, wie siehst du denn aus, wirft mir mein etwas grimmig dreinblickendes Spiegelbild entgegen. Schnell setzte ich ein Lächeln auf. Keine Zeit zum Grimmig sein. Schon besser! Jetzt 15 Minuten Yoga, dann duschen, eine Tasse Kaffee und die Welt ist perfekt. Bunt ist das Leben, denke ich noch einmal und versuche auf dem Weg zu meiner Yogamatte den Watschelgang abzulegen und eine aufrechte gesunde Haltung einzunehmen. Draußen ist es noch dunkel und ich freue mich schon auf den Sonnenaufgang. Innerlich versuche ich ihn mir bereits vorzustellen, so kann ich ihn etwas in die Länge ziehen und ich denke an etwas Positives. Das soll man beim Yoga so machen. Ich strahle über das ganze Gesicht, während ich meinen müden Körper im Vierfüßlerstand in alle Richtungen kreise. Gleichzeitig unterdrücke ich ein Gähnen und verdränge den Gedanken an mein warmes, flauschiges Bett und die Tatsache, dass ich noch eine Stunde länger schlafen könnte, würde ich nicht ständig den inneren Drang verspüren, eine perfekte Morgenroutine für mich gefunden zu haben. Außerdem fühlen sie sich ganz fein an, diese sanften Bewegungen. Herrlich, denke ich. So ein schöner Morgen! In Baumhaltung versuche ich wackelig das Gleichgewicht zu halten und stelle mir vor, dass ganz viel Energie durch meinen Körper fließt. Ich atme tief ein und aus und klopfe mir innerlich auf meine Schulter, lobe mich für meine morgendliche Disziplin. Und das, obwohl ich eigentlich ein Morgenmuffel bin! Geschafft ist geschafft!

Nun gleite ich leichtfüßig zurück ins Bad und stelle mich unter die warme Dusche. Herrlich bunt ist das Leben, denke ich noch einmal, während ich den Duft meines Lavendelduschgels genieße. Ich lasse am Ende meines Duschgangs eiskaltes Wasser über meine Beine und Arme laufen, das muss man so machen, habe ich einmal gehört. Ich bibbere vor Kälte und bilde mir ein, wie gut mir das tut. Als ich das Bad wieder verlasse, stelle ich kurz erschrocken fest, dass ich den Sonnenaufgang verpasst habe. Egal, meinen Arbeitskollegen werde ich erzählen, dass er traumhaft schön war. So schön rot und orange, herrlich diese Morgenroutine. Ihr müsst das auch mal ausprobieren. Alle werden mich bewundern.

Wieder strahle ich über das ganze Gesicht, während ich meiner Mokkakanne bei ihrer Arbeit zuhöre und wahrnehme, wie sich der intensive Kaffeeduft in der ganzen Wohnung verbreitet. Als ich wenige Minuten später mit einer frisch zubereiteten Tasse Kaffee am Esstisch sitze, Buch in der Hand, denn ein paar Seiten lesen gehört zu einer perfekten Morgenroutine dazu, bin ich stolz auf mich und freue mich darauf, frisch und munter in den Tag zu starten. Innerlich verfluche ich mich aber etwas dafür, dass ich nicht wie jeder andere normale Mensch so lange im Bett liegen bleibe, wie ich könnte. Egal, der frühe Vogel fängt den Wurm, denke ich mir. Und nehme einen Schluck von meinem köstlichen Kaffee.