Wir wollten gerade das Haus mit unseren gepackten Koffern verlassen, um zum Flughafen zu fahren, als uns der Anruf einer Freundin erreichte. Sie meinte, wir sollten auf keinen Fall nach RĂ©union fliegen, denn es gab in der Nacht einen fĂŒrchterlichen Tsunami im Indischen Ozean. Wir wollten uns aber nicht von unserem Vorhaben abbringen lassen und beschlossen, wenigstens einmal bis Paris zu fliegen. Ich war zuversichtlich, denn ich sagte mir, dass Air France sicherlich kein Risiko fĂŒr die Crew und die Passagiere eingehen wĂŒrde, falls es zu gefĂ€hrlich wĂ€re. Mein Vertrauen sollte belohnt werden und wir flogen von Orly ab.
Die Sonne blinzelte durchs Fenster als wir nach dem Nachtflug das FrĂŒhstĂŒck ĂŒber Madagaskar serviert bekamen, und ich hielt neugierig Ausschau, ob von so hoch oben an der KĂŒste irgendwelche Auswirkungen des Tsunami zu sehen wĂ€ren. Doch erst als wir in RĂ©union gelandet waren, gab es die neuesten Nachrichten ĂŒber diese verheerende Naturkatastrophe. Gott sei Dank waren die Auswirkungen hier nicht so schlimm. Angeblich waren nur einige Boote im Hafen durch die rĂŒcklaufende Flutwelle umgestĂŒrzt. Sicherheitshalber wurden aber vorerst alle StrĂ€nde gesperrt. Wir bezogen unser Quartier in einem kreolischen HĂ€uschen mit einer offenen KĂŒche am Balkon und genossen die feuchtwarme AtmosphĂ€re. Am Abend konnten wir bereits wieder an den Strand und erfreuten uns am angenehm warmen Meer. In den folgenden Tagen entdeckten wir die ganze tropische Pracht dieser Insel mit ihren hohen Bergen, spektakulĂ€ren Schluchten und der ĂŒppigen Vegetation. Besonders gefielen mir die GewĂŒrzgĂ€rten und die riesigen Farne, die wie Palmen aussahen und etwas Archaisches an sich hatten. So musste es in der Urzeit unserer Erde ausgesehen haben. In der Gegend um den Vulkan Piton de la Fournaise, die an eine Mondlandschaft erinnert, hatten wir den Eindruck, einen Einblick in die Zeit der Erschaffung der Erde zu erhaschen. Verschieden alte Lavafelder zeugen von den immer wieder stattfindenden VulkanausbrĂŒchen. Teilweise wuchsen bereits wieder kleine Pflanzen aus dem bereits ausgekĂŒhlten Boden. Als wir in dieser Gegend zu einem Restaurant kamen, erzĂ€hlte uns der Wirt, dass er keinerlei Angst hĂ€tte, wenn wieder einmal die Lava herunterflieĂe, denn er wĂŒrde ganz einfach Bretter aufstellen, um den Strom vom Haus abzulenken. Wir bewunderten seine Gelassenheit angesichts dieser gewaltigen NaturkrĂ€fte. Frische, reife Mangos und Litschis konnten wir direkt vom Baum pflĂŒcken. Andere exotische FrĂŒchte, die ich zuvor nie gesehen hatte, wurden am Markt angeboten, und wenn man einmal auf französische SpezialitĂ€ten Lust hatte, konnte man diese im Carrefour erstehen. Das war der praktische Teil der Zugehörigkeit zu Frankreich.
Als wir zu Silvester am Strand den Donauwalzer nach der Musik aus dem Handy tanzten, waren wir dankbar und froh, dass wir uns durch die Tsunamiwarnung nicht von dieser wunderbaren Reise abbringen lassen hatten.
© Brigitte Thonhauser 2020-09-02