Die Omama im Gummibaum

Elke Steiner

by Elke Steiner

Story

Aus einem kleinen Topf streckt sich ihr Gummibaum empor und schlängelt sich mindestens 3 Mal um die pastellfarbene Zimmerdecke. Inmitten dieses Dschungels sitzt sie, meine schwerhörige Großmutter, in ihrem Schaukelstuhl vor ihrem dröhnenden Fernsehapparat. In der Mitte ein Tisch, immer mit obligater Plastiktischdecke und Spielkarten darauf. Eine Fototapete, ein Klassiker eines Sonnenuntergangs, vor der kurioserweise auch jährlich der Christbaum platziert wurde, eine kleine Fünfzigerjahre-Küchenzeile, auf der sie für mich Topfencreme mit Rosinen bereitet, ein Perserteppich und ein Balkon mit rosa Geranien. So residiert meine Oma im 1. Stock unseres Hauses.

Ihr verdanke ich meinen 2. Vornamen, Cäcilia. Sie ist eine sehr aparte, zierliche Dame, immer auf ihre Frisur bedacht, schneeweißes Haar, das sie in Form eines Haarknotens trägt gemeinsam mit einem spitzbübischen Lächeln im Gesicht. Sie arbeitete lange Zeit als Hausdame bei einer Grafenfamilie in Goldegg. Gab es in Schwarzach, Goldegg oder St.Veit eine Geburt, wurde sie als Hebamme gerufen. Sie war kräuterkundig und es gab kaum ein Leiden, wogegen sie nicht ein Kraut wusste, bereitete Salben und Tinkturen selbst zu. 5 Kindern schenkte sie das Leben und einer davon war mein Vater. Man hätte diesem zierlichen Persönchen nie angesehen, dass sie gemeinsam mit meinem erst 14-jährigen Papa ein Haus gebaut hat. Doch gab es diesen steifen Finger an ihrer Hand. Sie zog sich im Zuge der Bauarbeiten eine Blutvergiftung zu, wurde ins Krankenhaus eingeliefert, wo ihr sofort der Arm abgenommen werden sollte. Nachdem sie dafür weder Verständnis noch Zeit hatte, ergriff sie still und heimlich die Flucht. Zu Hause kurierte sie dann ihren Arm mit Kräuterumschlägen, Bädern und Wickel aller Art. Zurück blieb glücklicherweise nur ein steifer Finger.

Schon relativ früh hatte sie dritte Zähne, die aber irgendwann nicht mehr so fest saßen, wie sie sollten. In der Meinung, ohnehin nicht lange zu leben, ließ sie diese nie mehr richtig anpassen. Und so musste sie meist Püriertes essen. Eines Tages, wir saßen alle am Mittagstisch, geschah es, dass unheimliches Gelächter losbrach. Warum, weiß ich nicht mehr, aber Oma hielt sich plötzlich erschrocken die Hand vor den Mund und begann nervös in ihrem Kartoffelpüree zu stochern. Was sie suchte, wurde uns bald klar. Beim Lachen fielen ihr die wackeligen Dritten aus dem Mund und verschwanden in ihrem Berg Püree. Das war ein Spaß!

Irgendwann kam es, wie es kommen musste. Bevor wir zum jährlichen Camping-Urlaub nach Italien aufbrachen, verabschiedeten wir uns jedes Jahr, als wäre es das letzte Mal. Das war immer ein Tam Tam. Umarmungen, beste Wünsche für die Gesundheit, ob wir uns wohl wiedersehen würden, Omas Tränen und langes Winken aus dem Auto. So ging das einige Jahre. In ihrem 92. Lebensjahr war es dann wirklich so weit und Oma schloss ihre Augen für immer. Sie starb während unseres Italien Urlaubes. Und der Gummibaum mit ihr. Keiner hat sich mehr gekümmert.

Ich trauerte um beide!

© Elke Steiner 2020-01-08

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