Zu ihrem 65. Geburtstag hat meine Mutter wohl eines ihrer schönsten Geschenke bekommen: Ihre Schwestern Paula und Josefa gratulierten ihr telefonisch am Vormittag, aus dem circa 700 km entfernten Aschaffenburg. Sie erzählte den beiden, dass sie die Nachbarinnen nachmittags eingeladen hat und so den Tag feiern würde. Am selben Abend, als sie ihr blau-weiß geblümtes Kaffeeservice abgewaschen hatte und ihre Gäste gerade erst gegangen waren, klingelte es an der Tür. Da standen sie dann, die zwei, die vormittags telefonisch gratuliert hatten, Paula war gerade 70 geworden und Josefa war damals 75 Jahre alt. Die beiden Damen wollten meine Mutter überraschen, hatten sich nach dem Telefonat in den Zug gesetzt und waren nach Linz gefahren. Ein dreiviertel Jahr lang hatten sich die drei Schwestern nicht gesehen und die Freude war wohl unbeschreiblich. Sie hatten einen wunderschönen, lustigen, aber auch rührseligen Abend zusammen. So, als hätten sie gewusst, dass es der vorletzte Geburtstag war, an dem sie meiner Mutter ihre Glückwünsche überbringen konnten, weil sie im Alter von 66 Jahren verstorben ist. Ich glaube, dass sich Paula und Josefa später oft darüber unterhalten haben, wie gut es war, dass sie diesen Tag für ein Wiedersehen genutzt hatten. Leider kann so schnell alles ganz anders sein.
Ich hatte zwar keine Großeltern, aber dafür mehrere tolle Tanten. Sie haben mich als Kind sehr verwöhnt, wenn wir im Odenwald unseren Familienurlaub verbrachten. Geliebt habe ich sie alle sehr. Bei der Feier zu Josefas 80igstem Geburtstag traf ich die inzwischen betagten Damen wieder. Sogar die liebe Tante Toni war gekommen, trotz ihrer schweren Krankheit.
Die älteste Schwester meiner Mutter war Amanda. Sie trug ihre langen grauen Haare immer streng zu einem Knoten aufgebunden. Stolz hat sie mir erzählt, dass sie mit ihren nun 85 Jahren noch bei einer Fleischhauerei am Wochenende aushilft. Lachend sagte sie, „wenn ich mit meinem Chef eine Meinungsverschiedenheit habe, dann sagte er, dass er mich ja nicht kündigen kann, weil ich sonst keine Arbeit mehr finden würde“
Tante Martha war zwar auch im hohen Alter noch fit, aber sie nutze das anders: Sie tanzte mit 82 Jahren noch immer für ihr Leben gern beim Nachmittagskaffee in ihrer Heimatstadt. Bei dem Familienfest schenkte sie mir ein paar neue Tanzschuhe, die sie sich ein bisschen zu eng gekauft hatte. Auch Paula war anwesend, sie trug wie immer ein sehr hübsches Kleid, überhaupt waren die Damen alle sehr schick. Paula beim Geschichten erzählen zuzuhören, mit ihrer Gestik und dem Kussmund, den sie dann oft machte, gefiel mir besonders.
Die Schwestern besuchten uns oft in Österreich. Einmal galt es einen Teppichboden im Vorraum unserer Wohnung zu legen, ein langer, schmaler Raum, von dem alle Türen abgingen. Ich sehe sie noch am Boden liegen, wie sie versuchten diesem Ungetüm Herr zu werden, und die sperrige Teppichrolle glatt drückten, zurechtschnitten und dabei von Herzen lachen mussten. Schöne Erinnerungen sind das, voll Liebe, Zusammenhalt, Geborgenheit und viel Humor.
© Sabine Benedukt 2024-12-14