Ewige Feuer der Chimära

Lorenz Graf

by Lorenz Graf

Story

Wir fuhren die Südküste der Türkei entlang nach Westen. Südlich von Kemer steuerten wir die antike Stadt Olympos an. Unser Ziel war aber der Strand von Cirale. Dort gibt es einen Stellplatz für Wohnmobile. Dieser “Caravan Camping” liegt ganz am Meer in einer ruhigen Bucht. Wir standen mit unserem Wohnmobil nur wenige Schritte vom Wasser entfernt. Fast konnten wir von der Tür unseres Autos ins Meer hüpfen. Keine Hotels waren in der Nähe, nur ein paar Fischerboote schaukelten in einiger Entfernung im Meer.

Wir genossen die erholsame Ruhe, denn für den Abend beziehungsweise für die Nacht hatten wir etwas vor. Sobald es dunkler wurde, machten wir uns auf den Weg zum Feuer der Chimära. Die Türken nennen es Yanartas, das heißt “brennender Stein”.

Schnaufend, wir sind ja nicht mehr die Jüngsten, kämpften wir uns hoch. Es war ein steiniger Weg mit groben Felsblöcken und es ging ständig bergauf, stellenweise ganz schön steil. Die inzwischen eingebrochene Dunkelheit machte es nicht leichter. Immer wieder wurden wir von sportlichen, fröhlichen und freundlichen Jugendlichen überholt. Wir stapften tapfer und schnaufend weiter, doch von brennenden Steinen war weit und breit nichts zu sehen. Endlich tauchten kleine, flackernde Lichter zwischen Bäumen und Sträuchern auf. Aber es war noch ein mühsames Stück Weg bis dorthin. Inzwischen war es stockfinster geworden, was wir ja auch wollten. Und dann sahen wir den Berghang vor uns und wir standen sprachlos vor einem Feuerfeld. Überall zwischen kleinen Steinen und großen Felsen brannte es. Ebenso schlugen aus Löchern im felsigen Gelände Flammen heraus. Es sind die “Ewigen Feuer der Chimära.” Die Menschen in der Antike fanden dafür Erklärungen und Zusammenhänge mit Göttern, erfanden schöne Geschichten. Diese Erklärungen von damals sind ungleich lebhafter und berührten uns viel mehr, als unsere heutigen nüchternen Analysen: Aus unterirdischen Spalten und Rissen in der Erdkruste dringt ein Gasgemisch an die Oberfläche und entzündet sich mit dem Sauerstoff der Luft. Es ist ein gewaltiges Naturschauspiel, das sich da vor unseren Augen auftat. Man musste aufpassen, wo man hintrat. Manche Feuer waren nur klein, andere loderten beachtlich hoch. Bei einigen saßen junge Menschen, lachten und sangen. Andere saßen nur stumm da und schauten fasziniert in die flackernden Flammen. Wir verharrten fast andächtig und versuchen das Schauspiel in uns aufzunehmen. Ehrfurchtsvoll versuchten wir in Gedanken zu erfassen, dass dieser Berg ohne Unterbrechung seit 2700 Jahren brennt. Ein sonderbares Gefühl beschlich uns, als wir daran dachten, dass hier vor tausenden von Jahren auch staunende Menschen standen, so wie wir heute.

Das Feuer der Begeisterung für dieses Land wird noch lange in uns weiter brennen.



© Lorenz Graf 2021-02-03

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