by Girasole
Friedhof der namenlosen Seelen
Unlängst, zu Allerheiligen und Allerseelen tummelten sich viele Menschen in stillem Gedenken am Friedhof der Namenlosen beim Alberner Hafen
Für mich werden viele Erinnerungen wach. Meine Oma hatte in Kaiser Ebersdorf ein Gasthaus. Kaiser Ebersdorf beherbergte auch das Schloss, wo die unerzogenen Kinder hingebracht wurden….irgendwie war es ein bissl schaurig und Furcht einflößend. Wie ungezogen muss man wohl sein, um dorthin zu kommen? Vom Wilhelminenberg in Ottakring, wo wir wohnten, bis Kaiser Ebersdorf war es eine kleine Weltreise mit der Straßenbahn. Meine Mutter half am Wochenende im Gasthaus aus, ich kam mit und war meist auf mich allein gestellt. Erinnere mich, dass ich mir am Samstagabend die Hitparade im Bett liegend angehört habe, ein Highlight. Und ich habe eine schöne Zeit mit meinem Wochenendfreund Purzi (eigentlich hieß er Franz) verbracht, im Garten, auf dem Ziegelhaufen, am verwunschenen Dachboden, im Weinkeller. Manchmal fuhren wir mit unseren Fahrrädern durch die Au, über den Mitterbach bis zum Friedhof der Namenlosen an der Donau. Es war ein mystischer Ort, der mich immer wieder anzog.
Ein Wasserwirbel hatte vor 1939 neben Treibholz 600 namenlose tote Körper angespült. Sie wurden bis 1940 gleich hier am Donauufer begraben. Traurige Schicksale- ertrunken, ermordet, abgelegt, verzweifelt ins Wasser gegangen….. alte, junge Menschen, Babys, die niemand haben wollte. Von vielen wusste man weder die Namen, noch wie sie gestorben sind. Bei einigen wurde die Identität später herausgefunden. Es berührte mich damals wie heute sehr, damals fühlte es sich auch noch sehr unheimlich an. Die schlichten schmiedeeisernen Kreuze mit Schildern wie „namenlos, unbekannt, männlich oder weiblich, manchmal auch das Datum, an dem sie angeschwemmt wurden. Wir gingen immer wieder durch die Reihen und malten uns aus, wer diese Menschen wohl gewesen sind. An ein Grab erinnere ich mich noch genau, es stand „Sepperl“ dort, er war ein Neugeborenes…… Viele Spielsachen lagen auf dem kleinen Grab und es zerschnitt mir mein Herz.
Der alte Friedhof ist mittlerweile verschwunden, von Sträuchern und Bäumen überwuchert hat der Auwald diesen mystischen Ort wieder in Besitz genommen. Der Hafenregulierung ist auch das urige Wirtshaus zum Opfer gefallen, Es entstand ein neuer Friedhof, liebevoll gepflegt, mit einer kleinen Kapelle, aber nicht mehr direkt an der Donau. Dieser Ort zieht immer wieder Besucher an, besonders zu Allerseelen. Die Besucher kennen nicht den ursprünglichen Friedhof – es ist nicht mehr derselbe wie früher, es fehlt der mystische Schleier, es ist als ob mit dem Überwuchern der alten Grabstätten die verwunschenen, verlorenen Seelen mitten im Auwald ihre ewige Ruhe gefunden hätten.
© Girasole 2024-11-04