Fünf Tage wach.

Nini Tsiklauri

by Nini Tsiklauri

Story

Die Sonne strahlt wie nie zuvor, während ich den wolkenlosen Himmel vom Rücksitz aus beobachte. Das Radio ist aus. Es gibt keins. Ich kann das Gesicht meines Vaters im Rückspiegel sehen. Er ist konzentriert. Ich nun auch. Der Wagen brummt still in sich hinein. Nur der Wind zischt durch die zerbrochene Windschutzscheibe. Wir fahren schnell. Ich spüre wie mein linker Arm fest umklammert wird. Neben mir mein kleiner Bruder, der keinen Mucks von sich gibt. Neben ihm meine Mutter, die nun ebenfalls schweigend zum Himmel schaut. “Sobald ihr Flieger am Himmel sieht, steigen wir sofort aus und dann alle quer in die Wiese legen”, sagte mein Onkel bevor wir losfuhren. Ich schaue zu meinen Füßen. Meine Stiefel sind seit heute morgen fester zugebunden, als sonst. Für alle Fälle.”Wir müssen diesen Weg schaffen, sonst kommen wir nicht nach Westen. Wenn wir zurückbleiben, werden sie uns töten”, lauschte ich heimlich die Erwachsenen in den frühen Morgenstunden reden. Unter meinem Kopfkissen lag ein Foto von meinen Freunden. Ich schaute jedes Gesicht an und weinte leise. Ich konnte nicht schlafen seitdem der Krieg begann. Also betete ich still, für meine Familie, für meine Freunde und für alle Menschen im Leid in diesen August Tagen in Georgien. Nun fühle ich das Foto in meiner Hosentasche.

Ein lautes Geräusch reißt uns aus der Stille. Ein paar Meter vor uns steigt dunkler Rauch auf, der sich nun wie ein gigantischer Pilz am Himmel formt. Wir steuern darauf zu. “Wir dürfen jetzt nicht umkehren”, sagt mein Onkel und drückt aufs Gaspedal. Es brennt lichterloh um uns herum. Alles steht in Flammen. Ich spüre jeden einzelnen Herzschlag und vergesse dabei zu atmen. Es ist unerträglich heiß und es wird immer heißer im Wagen. Einige Momente aus meinem Leben spielen sich vor meinen Augen ab und nun denke ich an diesen einen Handschlag. Erst ein paar Monate zuvor in Deutschland haben sich unsere Wege gekreuzt. Ich nahm all meinen Mut zusammen und sprach mit ihr über mein Anliegen. Ich bat sie inständig um Unterstützung für Georgien beim NATO Gipfel in Bukarest und legte meine linke Hand auf Unsere. Ich schaute ihr tief in die Augen, in die von Angela Merkel. Es hätte doch alles anders kommen können, dachte ich mir. Das hätte alles verhindert werden können. Mit etwas mehr Mut von einigen Politikern. Mit etwas mehr Mut von der EU für Länder wie Georgien. Weiß eigentlich irgendjemand drüben wieviel Freiheit hier Wert ist? Weiß eigentlich irgendjemand, dass das hier überhaupt passiert? Und wer kümmert sich eigentlich um diese vergessenen Menschen, die nichts anderes verbrochen haben, als am falschen Fleck zu leben? Ich nehme meine kleine Kamera und drücke auf Rec. Wie auf Autopilot. Nun sehe ich das Feuer, die zerbombten Häuser und Autos durch die Linse. ‘Wow’, flüstere ich. Wenn ich den Mist hier überlebe, dann werde ich alles in meiner Macht stehende tun um etwas zu ändern. Ich schaue ein letztes Mal nach hinten und sehe alles hinter uns im dunklen Qualm verschwinden.

© Nini Tsiklauri 2019-08-08

Hashtags