Geistlos gehen

Laura E

by Laura E

Story

Kalte Fingerspitzen berühren die Hand, welche ihre Finger im Spiegel ausstreckt und gleiten langsam hinunter, bis die fragile Verbindung abbricht und die Hand schlaff abrutscht, um geistlos zu taumeln. Ausdruckslose Augen, dessen Leere gleichzeitig eine sagenhafte Schwere besitzen, starren durch den Spiegel hindurch und die geistlose Hüllenkreatur führt das auf, was sie kann: Atmen. Verengend formen sich die fokussierten Augen, mit dem Ziel, den Geist wiederzufinden, der doch normalerweise in dieser Hülle beheimatet ist. ,,Wer bist du?” Wildfremde Worte verlassen den mimiklosen Mund, der sich im Spiegel zu bewegen scheint. In der düsteren Dunkelheit der ausdruckslosen Augen scheint nicht einmal ein leichtes Licht zu leuchten, also ist der Geist wohl nicht zu Hause. Was ist dieser karge Körper ohne den gefühlvollen Geist und wozu lohnt sich leben? Wäre ich nur mein kleiner, atmender Körper, der lieb lächelt und sich automatisiert fortbewegt, bräuchte ich nicht leben. Die Frage ist, an welchem Wegesrand bin Ich liegen geblieben? Bin ich ehrlich zu mir, liegt die Antwort glasklar auf der Hand. In dem Moment, in welchem mein Körper zu einem geltungslosen Gebrauchsgegenstand umfunktioniert wurde und aus dem “Gebrauch” Missbrauch und schließlich Verbrauch wurde. Von da an mussten Körper und Geist zwangsläufig getrennte Wege gehen. Ich habe Mich verloren, damit ich überlebe und eines Tages lebe. Ich habe meinen Körper allerdings zu oft verlassen müssen und stelle plötzlich fest, dass mein Geist gefangen bleibt in dem unsichtbar geschmacklosen Gedankenraum der Vergangenheit, in welchem mein Körper funktionieren musste. Hoffnungsvoll verzierte Worte formen den Wunsch an meinen Geist zurückzukehren, damit Ich wieder Ich bin. Doch im Laufe der Zeit bin ich eine defensive Schutzgestalt, welche Gefühle unwillkürlich abwehrt, als seien sie eine Bedrohung für mein Leben. Demnach verwehrt mir meine Verteidigung am Ende des Tages die Chance, zu leben, da Defensive Überleben bedeutet. Solange ich mich verteidige, kann ich mich nicht finden und meinen gefangenen Geist aus dem hermetisch verriegelten Vergangenheitsraum befreien. Ein Seufzer kommt aus dem unbewohnten Körper und das geistlose Gesicht wirkt verloren. Ohne meine Gefühle, meine Seele, meinen Geist bin ich Nichts und Niemand. Ich denke, es ist Zeit zu kapitulieren, damit ich eine Chance habe, ich zu sein. Kapitulieren und mich den Angreifern stellen, vor denen ich mich mühselig zu schützen versuche. Dabei schütze ich mich vor unsichtbaren, ungefährlichen Luftoffensiven und unangenehmen Gefühlen, die keinerlei Schaden zufügen können. Ich zu sein bedeutet fühlen. Freude, Liebe, Angst, Trauer, Wut und Schmerz. Ein Gefühl bedeutet, alles zu fühlen. ,,Komm zurück”, flüstert der Mund meines Körpers, in der Hoffnung, den Geist anzulocken, der schwerelos herumschwebt – distanziert und stumm. Ich erinnere mich an eine Zeit, in der mein Körper die positive Energie nach außen getragen hat, die mein Geist voller Freude entfacht hat und stets ein Licht auf der Kerze brannte, um die ungewisse Dunkelheit ein wenig zu erleuchten. Doch die Flamme wurde schwächer, schwäche und plötzlich war sie aus und der Energieklumpen war erloschen und aus Flammen wurden leicht löschbare Funken. Eines Tages wird das Feuer brennen, die Energie leuchten und ich finde den zum Körper gehörigen Geist wieder. Bis dahin funktioniere ich, atme ich, überlebe ich.

© Laura E 2023-09-21

Genres
Novels & Stories
Moods
Dunkel, Emotional
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