Ginny, die Gelbbacke

Ilona Weinrich

by Ilona Weinrich

Story

Am dreizehnten Juni 2024 wurde meine Hündin Ginny sechs Jahre alt. Sie gehört einer vom Aussterben bedrohten Hunderasse an (bei Schäfern auch als Hundeschlag bezeichnet), die Gelbbacke, ein altdeutscher Hütehund. Wir verbrachten einen wunderschönen Tag zusammen, der für sie mit einem großen Kringel Fleischwurst und einem ausgiebigen Spaziergang in ihre Lieblingsgefilde gekrönt wurde. Mir wurde bewusst, dass wir bereits seit fünfeinhalb Jahren das Leben miteinander teilen. Ich habe mehr als ein Jahr nach einem Hund für mich Ausschau gehalten. Das Warten hat sich definitiv gelohnt. Wir sind seit unserer ersten Begegnung ineinander verliebt. Liebe auf den ersten Blick bis heute. Das ist mir, außer mit meinen Kindern und Enkelkindern, mit Menschen nicht passiert. Ein quirliges Knäuel Hund, der es faustdick hinter den Ohren hat. Zuerst mussten wir klären, wer Chefin im Rudel ist. Beim Feierabend gemütlich auf der Couch sitzend, sprang sie dazu und wollte mich besteigen. Ein typisches Dominanzverhalten, was ich klar abwies, in dem ich sie von der Couch wies. Darauf setzte sie sich zwei Meter vor mich auf den Teppich, schaute mich dabei an und machte ein Bächlein. Meine sofortige missbilligende Reaktion darauf, war ein verärgerter Rauswurf in den Hof für eine Stunde. Am vierten Tag unseres Zusammenseins unterließ sie ihr unerwünschtes Verhalten bis heute. Danach ging es aufwärts mit der meist reibungslosen Verständigung. Was nicht bedeutet, dass sie als hyperaktive, impulsgesteuerte Junghündin perfekt gehorchte. Vielmehr bemerkte ich, dass sie leichter zu überzeugen war, etwas für mich freiwillig zu tun, als mit stupiden Wiederholungen der Gehorsamsübungen, die auf den Hundeplätzen gepflegt wurden. Wenn ich partout etwas von ihr verlange, was ihr widerstrebt, schaltet sie inzwischen in ihren ersten Gang. Etwas mürrisch drein schauend folgt sie zwar zögerlich, aber sie kommt meinem Wunsch nach. Es ist das unsichtbare Band, das uns verbindet, auch ohne Worte.
Im Internet gibt es ein Hundewarnschild für die Gelbbacke als Wachhund auf dem zu lesen ist: “Mir entgeht nichts … keiner warnt amüsanter, keiner klebt länger”. Das bringt das Verhalten dieses Hundes in der Begegnung mit Menschen auf den Punkt. Neugierig, offen und überschwänglich begrüßt die Gelbbacke den Menschen. Sie rückt ihnen freundlich auf die Pelle und weicht erst mal nicht von seiner Seite bis zum eigentlichen Begrüßungsritual: ein kurzer Kuss auf den Mund des Menschen. Eine Geste, die Hunde und Wölfe auch untereinander pflegen. Manche Menschen empfinden es als das lästige Hochspringen eines Hundes, ein schlecht erzogener Vierbeiner. Was ich verstehe, aber leider aufgrund Ginnys Turboschaltung nicht immer schaffe, zu unterbinden. Man kann das Hochspringen vermeiden, indem der Mensch sich auf die tierische Willkommensformel einlässt. Das heißt, sich mit der Hand vor dem Mund aus hygienischen Gründen hinhocken und den kurzen Kuss auf der Hand annehmen. Das lästige Hochspringen eines friedlichen Hundes kann so umgangen werden. Wie auch immer, ich weiß verlässlich, in Ginnys Beuteschema stehen nur Mäuse. Die Menschen liebt sie.


© Ilona Weinrich 2024-06-18

Genres
Novels & Stories
Moods
Emotional, Unbeschwert, Reflektierend