Kann ich dich nochmal anrufen?

Sophia Höppner

by Sophia Höppner

Story
2004 – 2018

Weißt du noch, wie du mir im Kindergarten gesagt hast, ich könne dich immer anrufen? Ganz egal wann, wo oder warum, denn du warst einfach immer da für mich. Für uns. Ich habe dir gesagt du wirst mindestens 90 und somit hast du dir selbst ein Ziel gesetzt. Wir haben zusammen verstecken gespielt im Winter. Im Frühling waren wir auf deinem Balkon und haben einfach geredet und Mühle gespielt. Eis essen im Sommer war sowieso Pflicht, immer so viele Kugeln wie wir wollten. Wenn es im Herbst dann nur noch geregnet hat, saß ich in deinem großen roten Ohrensessel und wir haben zusammen Fangeball gespielt. Dabei haben wir immer Tränen gelacht und unsere Bäuche taten weh vom Lachen. Was daran so lustig war, weiß ich gar nicht mehr aber ich werde nie vergessen, wie es sich angefühlt hat das mit dir gespielt zu haben. Danach gab es natürlich Nugat Schokolade für dich und mich und für Timon was anderes, weil er die nicht mochte. War es dann schon zu dunkel um nach Hause zu kommen, hast du uns natürlich den Bus bezahlt und immer viel zu viel Geld gegeben. Oder wir haben bei dir geschlafen, zum Frühstück gab es dann immer viel zu süßen Haferbrei. Weihnachten und Silvester hast du immer bei uns gefeiert, dann waren wir zu viert. Zwar nicht so viele wie bei anderen, aber für war es immer mehr als genug. Wir waren jeden Tag bei dir. Im Winter kam ich zu dir, wenn zu schlechtes Wetter draußen war, aber ich wegen der Schule raus musste. Dann haben wir einfach miteinander geredet und ich hab dir immer ganz viel von meiner Schule erzählt. Bei dir gab es immer ein Glas Apfelschorle oder Cola, wenn der Frühling wieder so drückende Tage mit sich brachte. Wenn wir draußen gespielt haben und der Sommer viel zu heiße Tage hatte, sind wir nur schnell gekommen, um was zu trinken und waren dann auch schon wieder weg. Klar, hab ich dir noch geholfen Staub zu putzen, schließlich konntest du es ja nicht mehr und ich hab mir gerne die alten Familienbilder angeguckt und sie dann abgestaubt. Weihnachten mit dir war immer am schönsten, denn du bist einfach der dankbarste Mensch, den ich kenne, aber wir mussten dich immer mehr überreden zu kommen, weil es dir immer schlechter ging. Wir waren jeden zweiten Tag bei dir. Jetzt gab es ganz viele neue Musically Trends für den Winter und ich weiß gar nicht mehr, was du gesagt hast und ob wir überhaupt miteinander geredet haben. Im Frühling hast du mir was zum Geburtstag geschenkt, was ich nicht mochte, aber du hast dich so gefreut es mir zu schenken, dass ich nichts gesagt habe und mich einfach mit gefreut habe. Im Sommer hab ich geguckt, dass deine Wohnung nicht zu warm wird un du wenigstens noch ein bisschen rauskommst. Laufen konntest du nicht mehr wirklich, aber manchmal hast du so Kraftschübe bekommen und dein Lachen hast du dir eigentlich nicht nehmen lassen. Am wichtigsten war dir immer noch, dass es Mama gut geht und wir ihr auch genug helfen. Mama hat sich eigentlich nur noch um dich gekümmert und auch ich habe geholfen dich umzuziehen und versucht dir deine Angst zu nehmen, in ein Altenheim zu müssen. Dir ging es so schlecht an diesem Tag, hast mir aber einen Tag vorher gesagt du bräuchtest keine Hilfe und ir unter Lachen deine Armmuskeln gezeigt. Es war ein Anruf. 45 Minuten wurdest du reanimiert. Dein letzter Satz war, dass du Angst hast. Mit 89 bist du gestorben. Ich bin nicht mehr bei dir. Du fehlst.

© Sophia Höppner 2023-08-20

Genres
Novels & Stories
Moods
Emotional, Hoffnungsvoll, Informativ, Entspannend
Hashtags