Kapitel 15 – Das Orchester im Wald

Annegret Hahn

by Annegret Hahn

Story

Die alte Waldohreule hatte schon auf das kleine Mädchen gewartet. Sie hatte sich Sorgen gemacht. Gestern hat sie mit der Frau mit dem großen schwarzen Hund gesprochen. Auch die Frau mit dem Hund wusste nicht, wo das kleine Mädchen geblieben war. Die Tiere begannen nach ihr zu suchen. Nun steht das kleine Mädchen dort an der Kiefer. Dort hat die Waldohreule ihr Nest gebaut. Das Mädchen setzt sich auf die Bank auf dem gegenüberliegenden Weg und wartet auf die Waldohreule. Die Sonne wirft wärmend ihre Strahlen zwischen den Bäumen hindurch und malt helle Flecken auf den Weg. Eichhörnchen huschen an den Stämmen der Kiefern empor und knabbern die frischen Kiefernzapfen. Die Welt im Wald ist friedlich. Das kleine Mädchen entspannt. Die alte Waldohreule kommt von ihrem Flug zurück. Ihre Nestlinge haben geschlafen und sind jetzt aufgewacht. Mit leisem Rufen betteln sie um Futter. Die Waldohreule hat eine Maus mitgebracht und füttert zuerst ihre Jungen. Dann fliegt sie zu der Bank am Wegrand und setzt sich zu dem Mädchen: “Wir haben uns um Dich gesorgt”, meint sie. Das kleine Mädchen erzählt: “Ich habe mir mit meiner Oma auf dem Friedhof die Soldatengräber angesehen und über den Krieg nachgedacht. Dann habe ich überlegt, was Menschen mit Mitgefühl von denen unterscheidet, denen Mitgefühl fehlt. Ich habe festgestellt, dass manche Menschen kein Mitgefühl haben wollen. Es stört sie, wenn sie über ihre eigenen Pläne nachdenken. Ich lebe in solch einer Familie. Sie wollen, dass ich arbeite, aber sie erkennen meine Arbeit nicht an. Sie fühlen sich mir überlegen und möchten, dass dies so bleibt. Solange ich dort bin, wird sich nichts ändern, weil meine Familie mich gar nicht verstehen möchte. Es stört sie bei der Umsetzung ihrer Pläne. Sie wollen Vorteile, aber dafür keine Nachteile inkauf nehmen. Ich bin gestern zu dem Schluss gekommen, dass ich daran etwas ändern will. Ich möchte mit Menschen zusammen sein, die mich mögen. Über meine Traurigkeit habe ich gar nicht gemerkt, wie viele Freunde ich habe. Eigentlich ist es ganz einfach: Ich muss nur die Gemeinschaft derjenigen suchen, die gerne mit mir zusammen sind und mich schätzen, so wie auch ich meine Freunde schätze.” Die Sonne scheint mild. Am Waldrand beginnen die Buschwindröschen zu blühen. Der gesamte Waldboden ist mit Buschwindröschen bedeckt. Das kleine Mädchen freut sich jedes Jahr auf den April, der so viele Blüten auf dem Waldboden bringt. “Wir wollen die anderen Freunde suchen”, meint die Waldohreule. Die Waldohreule fliegt voraus, und das kleine Mädchen geht hinter ihr her. Auf der Lichtung stehen alle Freunde, die das kleine Mädchen kennengelernt hat: Die alte Hermelin-Dame wird von dem kleinen Mauswiesel und von den beiden Iltis-Schwestern begleitet, die Frau aus dem kleinen Hexenhaus ist gemeinsam mit ihrem Sohn und dem großen schwarzen Hund gekommen. Und auch die Oma des kleinen Mädchens ist unter den Gästen. Alle empfangen das kleine Mädchen liebevoll. Die Sonne beginnt, unterzugehen. Am Himmel erscheinen bunte Strahlen hellen Lichts in vielfarbigem Leuchten. Die Lichtstrahlen laden zu einer Reise durch die Himmelswelten ein. Am Ende der Lichtstrahlen ist das Schloss der Himmelskönigin. Das kennt das kleine Mädchen schon lange. Das Licht durchdringt die Dunkelheit. Das kleine Mädchen fühlt sich wohl.

© Annegret Hahn 2025-02-22

Genres
Novels & Stories