by RolfReudiger
Ich hab ja wirklich fĂŒr sehr viel VerstĂ€ndnis.
Dass der Nachbarshund jeden Tag gegen 06:30 Uhr seine vierbeinigen Götter anjault zum Beispiel.
Nehme ich hin.
Dass es meine Lieblings-Koch-Cremefine mit Pilzgeschmack fĂŒr original zwei Wochen (also exakt den Zeitraum, den es braucht um mir vor Augen zu fĂŒhren wie kotz-langweilig Cremefine ohne Pilzgeschmack schmeckt) zu kaufen gibt – und dann nicht mehr, weil f*** dich, Kunde!
Nehme ich mit der Geduld eines tibetischen Mönchs im Tiefschlaf hin.
Aber, dass zweimal in nur einer Woche â ZWEI Mal die Klobrille auf der Herrentoilette gesprungen ist, da hört sich bei mir der SpaĂ auf.
Man verlangt in Zeiten wie diesen nicht viel vom Leben. Aber primĂ€ren, körperlichen Funktionen nachkommen zu können ohne sich die eingebaute Sitzpolsterung (in medizinischen Fachkreisen âArschâ genannt”) in zerbrochenem, hartem Kunststoff einzuzwicken sollte drin sein.
Am Montagmorgen war sie zum ersten Mal kaputt.
Wer war es? Und wie schafft man das ĂŒberhaupt? Ich studierte alle verdĂ€chtigen Kollegen. Sie studieren mich. Es herrscht groĂes Misstrauen unter der Belegschaft.
Vielleicht war es Markus vom GroĂraum nebenan? Die haben zwar ihre eigene Toilette, aber ich habe ihn schon öfters in unsere huschen gesehen. Berechnet man KörpergröĂe und -gewicht mit ein – das ohne Zweifel nötig ist um eine derart feste Errungenschaft der Zivilisation zu zerbrechen – wĂ€re er ein guter VerdĂ€chtiger. 90-100 Kilo bringt der locker auf die Waage.
Investigative Nachforschungen gestalteten sich so knapp nach dem Wochenende schwierig. Es hĂ€tte jede der unglĂŒcklichen Seelen gewesen sein können, die samstags oder sonntags im BĂŒro herumlungern muss.
Doch einen Schuldigen zu finden, löst das Problem leider nicht.
Das Klo ist bis auf Weiteres ein Ort des Schmerzes und der Unbehaglichkeit.
Und ein Ort den man nicht meiden kann.
Es mag ein Tabuthema sein, aber wir tun es alle. Je nach ErnÀhrung und Koffeinzufuhr sogar tÀglich.
Und es geht um mehr als die primitive Ziellinie des Stoffwechsels.
In einem stressigen Beruf, mit nach Aufmerksamkeit quiekenden Kollegen, 47 Baustellen in unmittelbarer NĂ€he und einem Kindergarten im Erdgeschoss ist das Klo oftmals der einzige Ort der Stille.
Eine Bastion des Friedens.
Der heilige Stuhl.
Wo man in Ruhe Facebook durchscrollen und alte Klassenkameraden verurteilen kann.
Wo man Zeit zum Nachdenken hat.
Die Brille wurde also am Dienstag getauscht.
Ich war beruhigt.
“Etwas derartiges passiert einem maximal einmal im Leben” dachte ich mir – naiv wie ich am Dienstag noch war.
Dann kam der Donnerstag.
Der Donnerstag, an dem unser Donnerbalken schon wieder – SCHON WIEDER kaputt war.
Wie? Warum? WIESO?!
Bis die Beweislage abgeschlossen ist, sind sie in meinen Augen alle schuldig, Himmelherrgott!
Gott wird keine groĂe Hilfe sein, wie ich befĂŒrchte.
Jetzt heiĂt es warten. Warten, bis die neue Brille da ist.
Und den Markus behalte ich ab jetzt im Auge.
Niemand nimmt mir meinen Thron.
© RolfReudiger 2021-04-25