Klassentreffen

Gina Lawniczak

by Gina Lawniczak

Story

Fünf Jahre sind es her. Ich bin zu Besuch bei meinen Eltern in der Heimat, denn hier soll es stattfinden. Alles wieder auf null sozusagen. Irgendwie ist so viel passiert, aber auch nicht so richtig. Heute wird nur geredet, wenn mich jemand fragt, nehme ich mir vor. Nicht so aufspielen, einfach zuhören, was die anderen machen. Hoffentlich fragt mich niemand. Da müsste ich ja sagen, dass ich immer noch studiere. Und dann wieder: Ach, bei dir hätten wir ja alle gedacht, dass du schon einen Doktortitel hast. Warst ja immer die Streberin. Meine Mutti fragt mich, was ich anziehen will. Einfach so, wie ich bin, hatte ich gedacht. Achso, bei ihr gehen ja alle immer extra vorher zum Friseur. Ich stehe schon in der Tür, da kommen mir meine Eltern nach und drücken mich. Viel Spaß!

Auf dem Weg überlege ich, wer eigentlich in meiner Klasse war. An einige Leute erinnert man sich schon, vor allem an die besten Freunde, oder die, mit denen man immer zusammen Vorträge und Dialoge gemacht hat. Ich komme auf 16 von 22 Namen und Gesichter, ach und mich selbst. Krass, mit diesen Leuten habe ich doch so viel Lebenszeit verbracht. Schade, dass von den Lehrern niemand kommt.

Vor Ort hat sich nur ein kleines Häufchen eingefunden. Die, die noch hier wohnen und ich. Alle normal angezogen, huh. Ich brauche nichtmal alle 16 Namen. Die Leute, auf die ich mich gefreut hatte, sind nicht da. Warum nicht, frage ich. Haben keinen Bock, kommt die Auskunft. Die Stimmung ist komisch, weil einige sich seit der Schule weiterhin gesehen haben und einige, wie ich, das Geschehen von außen beobachten. Na los, also doch einmal die Runde. Na, und was machst du jetzt so? Ach, Unternehmen X, Abteilungsleiter, mh mh, ach so, wow. Ja ich habe noch meinen Meister in Zahntechnik gemacht, ach echt, ist ja krass! Irgendwie muss ich dann doch erzählen. Ach, dass du noch keinen Doktor hast, warst doch immer der Liebling der Lehrer, haha. Ja, hahaha. Eigentlich unerwartet viele Erfolgsgeschichten, naja fast zumindest. Florian zeigt Bilder von seinem Autounfall. Die Feuerwehr musste die Karre zersägen, um ihn da rauszubekommen, erklärt er, Bierchen trinkend. Ein Wunder, dass er noch lebt, hat sich wohl zweimal überschlagen. Wie er hergekommen ist? Stolz präsentiert er sein neues Auto. Was eigentlich die Jacqueline macht? Die sei im Krankenhaus, bekomme Zwillinge.

Bei der Bilderpräsentation gibt es allerhand zu schämen: Was für ein furchtbarer Pony! Wie, mit dem hatte ich was? Warum mussten denn solche Bilder auch reingenommen werden? Stopp, was?! Auf der Klassenfahrt? Waren da nicht die Lehrer nebenan?! Plötzlich eins der fünf vergessenen Gesichter. Und wo ist die Paula, frage ich. Ach da musst du mal mit der Lisa reden, die hatte angeblich über ihre Mutter Kontakt mit der Oma von Paula. Ich frage also die Lisa an und erfahre, dass Paula in psychiatrischer Betreuung sei. Sie habe wohl die Bremsschläuche ihres Autos durchtrennt, ein Bild davon gepostet und sei damit auf die Autobahn gefahren.

Etwas später kommt dann die Nachricht mit Bild in den WhatsApp-Chat: Emily-Malin und Chloe-Patricia mit der, wohl jetzt blauhaarigen, glücklichen Jacqueline.

© Gina Lawniczak 2023-10-01

Genres
Novels & Stories
Moods
Reflektierend, Angespannt