by Erich Stöger
Ob Bäume, im speziellen Obstbäume, wirklich verrückt werden können, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber natürlich glaube ich es nicht. Hingegen ist bekannt, dass so manchen Baum der „Schlag treffen“ kann. So geschehen an meinem Marillenbaum und auch Kirschbaum. Aber das liegt viele Jahre zurück. Beide Bäume waren nicht allzu alt, aber wirklich groß und mächtig. Im Laufe der Zeit, so muss ich gestehen, hat sich die Anzahl meiner Obstbäume von selbst reduziert und ich habe auch keine neuen ausgepflanzt. In meinem Garten existieren daher nur noch zwei Obstbäume. Ein Marillenbaum, welcher wahrscheinlich alters- und gesundheitsbedingt bereits seinem Ende entgegengeht und ein, so hoffe ich zumindest, nicht verrückter Pfirsichbaum. Und, das muss ich sagen, der hat seine eigene Geschichte. Vor Jahren, eigentlich vor zweieinhalbjahrzehnten, wollte mein Gartennachbar diesen noch jungen Baum entsorgen. Und wie soll ich sagen, er tat mir leid. Ich pflanzte ihn an meinem Gartenrand, weil damals noch einige seiner Obstbaumkollegen die besten Plätze einnahmen. Seit geraumer Zeit ist er der einzige „Überlebende“ unter allen. Abgesehen von seinem dahinsiechenden Marillen-Kollegen. Er fristet wenige Meter entfernt, sein letztes Dasein und ich werde ihn wohl oder übel demnächst entfernen müssen. Früchte trägt er eigentlich seit Jahren nur ganz wenige und zudem auch ganz kleine. Vielleicht macht ihm einfach nur das Alter zu schaffen. Damals, also anfangs, dürfte er sich bei mir wohlgefühlt haben, der adoptierte Pfirsichbaum. Sein Wachstum hält sich bis heute eher in Grenzen, was mir eigentlich nur recht ist, denn der jährliche Baumschnitt ist deshalb leichter zu bewältigen. Er gedieh und beschenkte mich jährlich mit seinen Früchten. Nach einigen Jahren waren diese an Qualität nicht zu übertreffen. Weit größer als ein Tennisball, eine rot-gelbe Färbung, nur leichte „Behaarung“, sich leicht lösend vom Kern, fruchtig, süß und saftig. Gibt es eine schönere Beschreibung für die Frucht meines einzigen gesunden und hoffentlich nicht verrückten Obstbaumes? Sie wurden zu den Lieblingen meiner Mutter. Hatte sie keine Zeit, sie selbst zu ernten, brachte ich ihr tageweise die frischesten nach Hause.
Vor einigen Jahren änderte er, der Baum, anscheinend seine Taktik. Die Kräuselkrankheit setzte ihm wahrscheinlich zu, aber er widersetzte sich ihr, indem er in kürzester Zeit eine neue Blätterwucht entwickelte. Die Krankheit hat ihn die letzten Jahre nicht wieder heimgesucht. Allerdings haben sich seine Früchte geändert. Plötzlich gediehen so viele, aber leider ganz kleine, dass er trotz Äste-Unterstützung meinerseits, den einen oder anderen Ast verlor. Am Höhepunkt dieses Dilemmas entschloss er sich vor zwei Jahren, trotz vielfältiger und frostfreier Blüte, mir keinen einzigen Pfirsich zu schenken. Ich muss zugeben, ich war enttäuscht. Hatte es doch in den letzten Jahren so ausgiebige Ernten gegeben, dass ich meine Wohnungsnachbarn damit beglücken konnte. Vergangenes Jahr dürfte er seine Strategie geändert haben und die Ernte war dementsprechend, wenn auch nicht so groß in Bezug auf Menge und Frucht. Aber genug, um mich zu freuen.
Wer weiß, vielleicht wird er mich heuer nach seiner wunderbaren aber kurzen Blütezeit wieder mit seinen schönen, großen Früchten überraschen.
© Erich Stöger 2025-04-16