by N G
Eloise öffnete die Tür zur WG und trat ein. Die Stille im Flur ließ sie kurz innehalten. Niemand da. Weder Lucy noch Emily – und zu ihrem Glück auch nicht Nico. Sie seufzte leise, zog ihre Jacke aus und wollte gerade in ihr Zimmer gehen, als plötzlich ein Geräusch aus der Küche kam. Ein leises Klappern. Zögernd ging sie den Flur entlang, trat in die Küche und zuckte erschrocken zurück. Ein Junge stand vor dem Kühlschrank, hielt eine Wasserflasche in der Hand und schaute sie ebenso überrascht an. Es war der Junge aus der Bibliothek. Sie blinzelte verwirrt, ihre Gedanken rasten. Dann fiel es ihr plötzlich wie Schuppen von den Augen. “Du … du bist Henry! Der Mitbewohner, den ich noch nicht kennengelernt habe.” Henry blinzelte kurz, dann zog er die Augenbrauen hoch. “Dann bist du also die neue Mitbewohnerin?” Eloise nickte. Doch ihr entging nicht, dass er sie dabei leicht verwirrt musterte. Sie wusste genau, was ihm durch den Kopf ging. Er fragte sich bestimmt dasselbe wie Emily damals: Wie kommt es, dass eine Schwarze hier eingezogen ist? Sie seufzte innerlich und fuhr sich kurz durch die Locken. “Ja, ich weiß … Ich hätte mich vorher besser informieren sollen. Aber ich hab den Vertrag einfach sofort unterschrieben, ohne die WG vorher überhaupt anzusehen.” Henry lehnte sich an die Küchentheke und verschränkte die Arme. “Das war wirklich nicht gerade die schlauste Entscheidung.” Eloise seufzte und rieb sich die Stirn. “Sag mir was Neues.” Eloise hob eine Augenbraue. “Wann hat deine Schwester eigentlich Geburtstag? Wegen des Ballettbuches.” Für einen kurzen Augenblick wirkte Henry seltsam. Seine Haltung veränderte sich kaum, aber Eloise bemerkte, wie er leicht mit den Fingern an der Küchentheke trommelte. Seine Augen huschten kurz zur Seite, bevor er wieder zu ihr blickte. “Bald”, meinte er knapp und nickte. Dann rieb er sich den Nacken, als wäre ihm das Gespräch plötzlich unangenehm. “Danke nochmal für die Hilfe in der Bibliothek.” Ehe Eloise etwas erwidern konnte, drehte er sich um und verschwand in seinem Zimmer. Sie runzelte die Stirn. Irgendetwas an seinem Verhalten war merkwürdig. Eloise hörte ein leises Klackern an der Tür. Jemand kam zurück. Sie trat in den Flur. Ihr Magen zog sich unwillkürlich zusammen, als sie sah, wer es war. Nico. Eloise bemerkte sein blaues, rechtes Auge. Er schien sich geprügelt zu haben. Nico schob die Tür hinter sich zu, warf seinen Schlüssel auf die Kommode und blieb dann stehen. Sein Blick fiel genervt auf Eloise. “Du bist ja immer noch da”, meinte er abfällig. Eloise schluckte, doch anstatt zurückzuweichen, hob sie das Kinn leicht an und setzte ein herausforderndes Lächeln auf. “Du auch”, erwiderte sie gelassen. Nico runzelte die Stirn. Er hatte offensichtlich nicht mit dieser Antwort gerechnet. Eloise verschränkte die Arme. “Wenn du wirklich alles tun willst, um mich aus dieser WG zu werfen … dann solltest du wissen, dass ich das Gleiche tun werde.” Sie hielt seinem Blick stand, während in ihr das Adrenalin pulsierte. Was auch immer er sich vorgenommen hatte – sie würde nicht klein beigeben. Nico verengte die Augen und musterte Eloise eindringlich. Sein Blick war scharf, fast herausfordernd. Doch sie ließ sich nicht beirren. Kein Zucken, kein Ausweichen. Sie wusste, dass er darauf wartete, dass sie die Nerven verlor, dass sie sich abwandte, vielleicht sogar entschuldigte. Aber das würde nicht passieren. Wenn er ein Spiel daraus machen wollte, dann sollte er wissen, dass sie mitspielte.
© N G 2025-03-22