Als Kind habe ich mich immer gefreut, wenn es Pumucklsuppe zu Mittag gab. Während ich aß, grinste ich in mich hinein. Ich musste an den kleinen Kobold und seinen Meister Eder denken, an die vielen Abenteuer und Streiche, die sie zusammen erlebt haben. Suppe, die nach Schabernack schmeckt.
Eines Tages kam ich von der Grundschule nach Hause, schloss die Haustür auf und rief „Bin wieder da“. Statt meiner Mutter trat meine Schwester in den Hausflur. „Der Opa ist“, fing sie an, ich ließ meine Schultasche fallen und mich von ihr umarmen.
Der Opa, der mir eine riesige Puppe aus Plastik geschenkt hatte, mit schwarzem Haar, orange-rosafarbener Haut und hellblauem Kleid. In seinem Wohnzimmer miefte es immer leicht nach Schweiß und Essensresten, und Fliegenfänger schlängelten sich in gelben Locken von der Decke herab. Er wohnte nebenan im alten Bauernhaus. Meine Eltern hatten ihn für lange Zeit gepflegt.
Es gab Pumucklsuppe, weil dieses Rezept nur wenige Arbeitsschritte erforderte, während in den Gar- und Kochzeiten allerlei Aufgaben erledigt werden konnten. In einem Gemüsefond hatte meine Mutter Suppenfleisch gegart und anschließend den Sud durch ein Sieb passiert. Nachdem sie die Brühe mit Salz und Pfeffer abgeschmeckt hatte, gab sie Pumuckl-förmige Nudeln hinzu und etwas später das in kleine Würfel geschnittene Fleisch.
So schwammen in meinem Suppenteller kleine Kobolde, frische Kräuter und Fleischstückchen mit Fettaugen. Heute schmeckte die Suppe versalzen. Löffel für Löffel verschwand sie in meinem Mund, der heute nicht erzählen wollte, was in der Schule passiert war.
Ich beschloss, mich von meinem Opa zu verabschieden. Der Pfarrer hielt mich für ungewöhnlich tapfer, als ich neben dem leblosen Körper meines Opas stand und keine Miene verzog. Beschützend legte er seinen Arm auf meine Schultern. Dieser wog schwer und drückte mich nieder. Erst jetzt hatte ich das Gefühl, Schutz zu brauchen. Als sei der Platz an einem Totenbett nichts für ein Kind.
An diesem Tag sah ich meinen ersten Verstorbenen. Alles, woran ich mich erinnern kann, ist ein Stillleben. Ohne Geruch, ohne Bewegung, ohne Zeit und Raum. Ein Mann liegt auf einem Sofa, die Haare am Kopf sind rar und grau. Seine Augen sind geschlossen.
In Erinnerung behalten habe ich ihn so nicht. Wenn ich an ihn zurückdenke, ist da das Bild eines alten Mannes, der in seinen letzten Jahren auch mal mit dem Rad ausgebüxt ist und von der Autobahn wieder eingefangen werden musste. Für mich hatte er in seinem verwirrten Alterszustand etwas von einem Kobold, bis er in die letzte große Falle des Lebens, den Tod, tappte.
© Monika Schuster 2021-07-15