Zu Hause. Was versteht man darunter?
Braucht es nur eine Familie? Ein Haus? Nein, nicht für mich.
Ich wuchs in einer Nachbarschaft auf in einem kleinen Dorf. Meine Mutter war alleinerziehend und hat mich und einen meiner Brüder hier in der Schweiz großgezogen. Als ich zwischen 3 und 5 Jahre alt war, gingen wir regelmäßig auf die Philippinen, um die Familienseite meiner Mutter zu besuchen. Sie hat noch zwei weitere Kinder dort, doch sie geben das Gefühl von «Geschwister» nicht.
Ich habe meinen Vater nie wirklich gekannt. Es wurde mir damals gesagt, dass er tot sei. Es stellte sich aber heraus, dass mein Vater noch lebte und zwei Kinder hat. Mit dem Sohn habe ich versucht den Kontakt aufzubauen, und die Tochter kenne ich immer noch nicht. Ich bezeichne sie nicht als meine Geschwister. Das Gefühl von «Schwester» und «Bruder» ist auch nicht da
Doch ab dem Jahr 2020 veränderte sich vieles in meinem Leben. Im Lockdown habe ich mich sehr viel mit meiner Mutter gestritten. Wir haben es kaum einen Tag ausgehalten, ohne einen ausgearteten Streit zu haben. Man musste einschreiten. Die KESB (Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden) hat entschieden, dass ich in eine Pflegefamilie kommen werde. Bis dahin konnte ich eine Weile bei einer Freundin wohnen, bis eine Pflegefamilie einen Platz hatte. Etwa ein paar Wochen später konnte ich in die Pflegefamilie Schopfer in Stettlen einziehen. Es war am Anfang sehr ein aufregendes, aber gleichzeitig fremdes Gefühl. Es ging nicht lange, bis ich mich wohlfühlte. Diese Familie hat mir vieles gezeigt und gelernt. Ich lernte, wie eine richtige Familie aussieht. Ich kannte das nämlich nicht, weil ich und meine Mutter uns oft wie Katzen und Hunde gestritten haben. Ich habe deswegen ein Trauma aufgebaut, und als es zu stärkeren Diskussionen kam bei der Familie Schopfers, habe ich es nicht lange ausgehalten und ging in mein Zimmer. Jetzt wohne ich schon seit fast 4 Jahren bei ihnen und weiß, wie eine Familie anders funktionieren kann. Da fehlt aber immer noch etwas. Mehr als ein Jahr später hat sich meine Pflegemutter entschieden, dass sie nicht 24/7 auf mich aufpassen kann. Das ist verständlich, denn jeder brauch mal Freiraum. Ich kam dementsprechend zu einer sogenannten Entlastungsfamilie in Thun. Noch einmal Veränderung. Diese Familie hat mich so gut aufgenommen, dass ich mich schnell wohlfühlte. Die Kinder sind alle älter als ich. Zwischen 25 und 17. Ich bin jetzt auch schon fast 3 Jahre bei ihnen, aber nach «zu Hause» fühlt es sich immer noch nicht so ganz. Ich fühle mich zwar wohler, doch das Gefühl von Zuhause ist auch nicht da.
Ich habe dadurch gelernt, dass ein zu Hause nicht immer in der Familie sein oder wo man schläft und wohnt. Zu Hause kann auch ein emotionaler Ort sein, wo man sich geborgen fühlt oder wo die persönliche Identität findet.
Jetzt will ich dich fragen: Wo ist dein Zuhause?
© Ferlyn Rüegsegger 2024-02-08