Eine Quälerei, bis ich kapierte, was die Zeichen und Kürzel bedeuten. Vati kam beim ersten Lehrbuchabschnitt schneller dahinter, gab das Mitlernen jedoch bald auf. Besonders Schönschreiben bereitete mir Schwierigkeiten. Wir waren am 31.8.82 in einem Fachgeschäft, um eine Steno-Feder zu beschaffen. Es gab keine. Auch Mitschülerinnen hatten das Problem. Die Klassenleiterin, gleichzeitig unsere Steno- und Maschinenschreiblehrerin, teilte Federn aus. Sie hatte für jede nur eine, die wir in Ehren halten sollten, da in der Tat schwer zu beschaffen. Die Tintengläschen brachten wir am ersten Tag der theoretischen Ausbildung, an dem Steno auf dem Stundenplan stand, mit. Sie wurden mit Namen beschriftet in einem Klassenkarton im Schrank verwahrt. So mussten wir die Tinte nicht ständig hin und her transportieren. Schließlich bestand die Gefahr, dass das Glas zu Bruch geht. Man hätte seine Bücher und Hefte wegwerfen können. In der Klasse war eine Linkshänderin. Man sagte, sie könne Schwierigkeiten mit Steno haben. Es klappte einigermaßen, sie schrieb wohl die herkömmliche Schrift schon immer mit der linken Hand. Ich drückte beim Schreiben zu sehr auf. Die Steno-Feder überlebte mit Mühe das erste Jahr. Da sich meine Schrift bis zu diesem Zeitpunkt gebessert hatte, durfte ich im 2. Lehrjahr mit Steno-Füller schreiben. Dieser hat statt einer Feder eine Plastikspitze. Mit meiner Kürzungstechnik nahm ich bereits einen Spitzenplatz ein, während sich einige die unbedingt erforderlichen Kürzungen nicht merken konnten, sich nicht genug Mühe gaben, nicht ausreichend Zeit investierten, wie nach nicht so gut ausgefallenen Klassenarbeiten in “Strafpredigten” gesagt wurde. Manche würden viel zu oft zur Disco gehen, statt zu üben, kämen nicht ins Bett und hätten früh nicht ausgeschlafen. Die W. hatte von der Verlobung von Sabine erfahren. Sie habe bisher gedacht, S. wisse gar nicht, dass es zweierlei Menschen gibt. Wer Kürzungen nicht so sicher beherrscht, dass sie ihm ohne Schrecksekunde einfallen, das Wort weiter ausschreibt, durchstreicht, dann die Kürzung notiert, kommt bei Stenogramm-Ansagen nicht gut mit. Das führt zu Lücken, die mit fortschreitender Geschwindigkeit nicht mehr geschlossen werden können. Es waren gerade die, deren schöne Schrift am Anfang so gelobt wurde (man hielt sie mir als gutes Beispiel vor), die sich später auf sinnvolle Kürzungsanwendung nicht gut verstanden. Je mehr ich die ganze Sache begriff, um so mehr freute ich mich über und auf Steno. Wunderbar, wie wenig man von einem Wort schreiben muss, um es zweifelsfrei lesen zu können! In manchen Stunden wurden sog. Probearbeiten angefertigt. Frau W. sagte, sie habe ein einnehmendes Wesen. Das bedeutete, sie sammelte mehrere Arbeiten ohne Vorankündigung ein. Jede Schülerin musste sich also bemühen, so gut wie möglich zu sein. Eines Tages bekamen wir im Unterricht Reinigungsgarnituren in die Hand gedrückt und erklärt, wie die Tastatur regelmäßig, auch auf der Arbeitsstelle, zu reinigen ist (braune Knetmasse, die auf die Typen gedrückt und nach Unterlegen einer alten Zeitung abgebürstet wurde). Dann sind die Typen wieder sauber. Durch textile Farbbänder bildet sich ein Abrieb. Er beeinträchtigt das Schriftbild mehr und mehr.
© Annemarie Baumgarten 2024-04-04