Therapie, Sekten & kalte Ă„rzte – Ein Abgesang

Willi_Schewski

by Willi_Schewski

Story
Flensbug 1992

Erst im Nachgang meiner Recherchen erfuhr ich die bittere Wahrheit: Herr Dr. Hö. machte sich als “Familienaufsteller” einen Namen. Ach ja, und das Beste? Der Mann hat eine Kassenzulassung! Das bedeutet, dass seine „Therapie“, die an die hochwissenschaftlichen Werke von Bert Hellinger erinnert, schön von der Krankenkasse ĂĽbernommen wird. Wie beruhigend, dass in Zeiten der objektiven Internetaufklärung und kritischen Presse die „Vermehrung“ dieser Aufsteller-Scharlatane vielleicht doch nicht ganz so unbemerkt bleibt. Die „Therapie“ riecht stark nach totalitärer Weltanschauung, klingt nach Sekte und könnte auch aus dem Handbuch der Scientology Church stammen. Mein Rat? Finger weg von systemischer Therapie und Co.!

Die eisige Kälte des Hausarztes. Dr. Hö. war also abgehakt, doch die nächste Hürde wartete: Ein neuer Therapeut musste her! Jemand, der sich nicht vor meinen Traumata fürchtet, ein mutiger Begleiter, der mir beim Aufräumen meiner Vergangenheit zur Seite stehen würde. Doch wo war dieser Retter in der Not? Nach einigen deprimierenden Erfahrungen führte mich mein Weg zum Hausarzt. Er, der weise Mann in Weiß, der mir eine rettende Adresse vermitteln sollte, begegnete mir allerdings mit einer Kälte, die einer sibirischen Winterlandschaft Konkurrenz machte. Anscheinend hatte ich mir mit meinem „bösen Brief“ an Dr. H. sämtliche Sympathien verspielt. Ich war erschüttert – es fühlte sich fast so an, als wäre Dr. Hö. nicht nur Arzt, sondern auch der Hausarzt seines eigenen Therapeuten geworden. Das Ergebnis: Eine standesgemäße Zurechtweisung meiner Abtrünnigkeit.

Abhängigkeit statt Hilfe – Therapie oder Selbstaufgabe? Verletzt und voller Zweifel zog ich mich zurück. Doch das Unglück nahm seinen Lauf: Bluthochdruck, Angstzustände – die ganze Palette. Dr. H. mutierte von anfänglicher Freundlichkeit zur wandelnden Antipathie. Von seltsamen Praxiszeiten („vormittags oder gar nicht“) bis zu unfreundlichen Spitzen – mein Bedürfnis nach Hilfe verwandelte sich in ein erbärmliches Abhängigkeitsverhältnis. Ein kluger Patient hätte längst das Weite gesucht. Ich nicht. Ich hing an diesem Arzt wie ein Kind an der Mutterbrust und erntete dafür mehr Schmerz als Hilfe. Wohin sollte ich also gehen? Den finalen Abgang planen? Oder aufgeben? Nein, es gab noch eine letzte Ausfahrt: Klinik! Die große Hoffnung. Dank meines Wissens glaubte ich an die Chance, eine passende Klinik zu finden, und Dr. H. unterstützte meinen Plan.

Rente statt Reha – Der schnelle Weg zur Erwerbsunfähigkeit. Die Antwort der Rentenversicherung kam schneller, als ich denken konnte: Keine Therapie. Mein Antrag wurde abgelehnt. Eine Rehabilitation würde meinen Zustand nicht langfristig verbessern – so hieß es im Schrieb. Und dann, die Krönung: Stattdessen wurde mein Antrag in einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente umgewandelt. Na toll, dachte ich mir, wenn sie mich als erwerbsunfähig abstempeln wollen – bitte sehr! So oder so fühlte ich mich längst arbeitsunfähig. Nun folgten die unvermeidlichen Papierberge, medizinische und nervenärztliche Begutachtungen, und am Ende der Show: Der Termin zur psychologischen Prüfung – der mich vermutlich endgültig ausknocken würde.

© Willi_Schewski 2024-09-29

Genres
Biographies
Moods
Dunkel, Mysteriös, Reflektierend, Traurig
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