Therapie Tagebuch I

Louise Ziegler

by Louise Ziegler

Story

Also ich dachte, ich schreibe mal ein paar Gedanken auf. Tut ja niemanden weh, dachte ich. Es muss ja niemand lesen. Und was den Schreibenden angeht, also mich, dem tut es auch nicht weh. Ich habe nämlich eh nichts Besseres zu tun. Ich habe gerade Urlaub, Urlaub von meinem ziemlich beschissenen Job, bei dem ich kaum mehr als den Mindestlohn bekomme, den ich übrigens habe, obwohl ich studiert habe und alles, und der absolut nichts mit meinem Studienfach zu tun hat; jedenfalls habe ich Urlaub und Zeit, mit der ich nichts anzufangen weiß. Ich habe nämlich quasi keine Freunde; ich sage quasi, weil ich einen habe, den ich, wenn’s hochkommt, zweimal im Jahr sehe, und jedes Mal, wenn wir dann vorhaben was zu machen, ich nicht anders kann, als vorher zu denken, dass ich überhaupt gar keine Lust auf das Treffen habe, und schon im Vorhinein angeödet bin. Ich freue mich dann am meisten auf den Alkohol, den ich mit ihm konsumieren werde (denn abgesehen von den höchst gelegentlichen Treffen mit ihm trinke ich keinen). Und wir haben uns letzt erst gesehen, also habe ich ganz sicher nicht vor, mich bei dem jetzt zu melden. Und dann gibt es da noch einen anderen “Freund”. Ich sage das so – mit Anführungsstrichen und so – weil den Typ Freund zu nennen ungefähr so ist, wie wenn ich sagen würde, dass ein Kerl, den ich auf der Straße sehe und der mit mir gewissermaßen flirtet, mein Ehemann oder so ein Schwachsinn ist. Das, was zwischen uns los ist, ist nämlich keine Freundschaft, das ist auch keine Freundschaft Plus, das ist sozusagen nur ein Plus, wenn ihr wisst, was ich meine. Ein erbärmliches, kleines Plus ist das. Bei dem hätte ich schon Lust, mich jetzt zu melden, aber das lasse ich lieber mal. Ansonsten habe ich noch meine Mama. Die ist eigentlich meine beste Freundin. Aber die ist gerade arbeiten. Und außerdem sollte man wohl auch nicht immer nur mit der eigenen Mutter abhängen, so ist das jedenfalls nicht gedacht, schätze ich.

Das ist also meine spektakuläre Sammlung an Freunden. Mehr gibt es nicht, ich sag’s euch, das war’s. Und klar, ich hätte massenhaft anderes zu tun. Saugen zum Beispiel. Man hat immer massenhaft anderes zu tun. Aber ich dachte, ich schreibe jetzt einfach lieber mal ein paar Gedanken auf. Muss ja niemand lesen. Ich bin jetzt in Therapie, seit drei Wochen. Eigentlich bin ich noch gar nicht richtig in Therapie, das sind erst mal so Vorgespräche, um zu schauen, ob das überhaupt passt, das mit dem Therapeuten und mir. Wenn ich ehrlich bin, fühlt es sich so an als wären das Probesitzungen, in denen der Therapeut mich als Klientin testet, schaut, ob er mich überhaupt aufnehmen will, in seinen Kreis der Auserwählten. Ist ein ziemlich blödes Gefühl. Aber was soll man machen. Irgendwo muss man ja anfangen.

Ich habe bei dem eh nur durch einen glücklichen Zufall einen Termin bekommen. Na ja, wie glücklich der Zufall war, wird sich ja noch zeigen. “Glücklich” ist sowieso kein Wort, mit dem man fahrlässig umgehen sollte. In meinem Vokabular existiert das Wort seit langem praktisch nicht mehr. Bei zwei anderen stehe ich auf der Warteliste. Von denen höre ich, wenn’s gut läuft (und falls überhaupt), wahrscheinlich in drei Jahren oder so wieder was. Deswegen sollte ich dem, bei dem ich es wenigstens mal in die Probephase geschafft habe, wohl eine Chance geben, und nicht weil ich mich blöd fühle, gleich wieder aufgeben …

© Louise Ziegler 2025-04-10

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