Über das Ego und das Altern

Brigitte Ammer-Weis

by Brigitte Ammer-Weis

Story

„Wie geht es der frisch gebackenen Pensionistin? Fehlen dir dein Job, deine Kolleg:innen, die Schüler:innen? Also ich fürchte mich schon davor, wenn es bei mir so weit ist. Vielleicht werde ich weiterarbeiten. In Zeiten wie diesen, wo sie fast in jeder Branche nach Arbeitskräften suchen, gar keine schlechte Idee, was meinst du? Man muss sich ja irgendwie beschäftigen und in meinem Berufsfeld kenne ich mich aus. Man hört ja so oft von Pensionsschocks oder dass die Leute plötzlich krank werden, wo sie sich doch so auf den Ruhestand gefreut haben. Vielleicht fühlen sie sich dann nicht mehr gebraucht, vergessen, weil jemand anderer ihren Arbeitsplatz eingenommen hat. Das ist doch schrecklich, oder?“ – „Ich denke, die größte Herausforderung ist es, jedem Tag eine selbstbestimmte Struktur zu geben, wenn du beruflich nicht mehr überwiegend fremdbestimmt getaktet bist. Im Job versuchst du möglichst täglich 100 % für andere zu geben und vergisst über den Wust an Aufgaben nicht selten auf deine eigenen Bedürfnisse, weil ja zu wenig Zeit dafür übrigbleibt. Bist dabei jedoch oftmals unzufrieden, überfordert, ausgepowert. Plötzlich ist alle Zeit der Welt für einen selbst da und man weiß nichts damit anzufangen? Das finde ich schrecklich.“ – „Da hast du schon recht, aber die Frage, die ich mir stelle, ist, wofür tun wir etwas, wenn man am Ende des Tages so leicht ausgetauscht werden kann?“ – „Wir werden ‚ausgetauscht‘, wie du es nennst, weil es für alles ein Ablaufdatum gibt. Das bedeutet aber nicht, dass unser Tun deswegen sinnlos ist. Ist es nicht so, dass der Mensch so schnell um seinen Selbstwert, den er meist im Außen bestätigt finden möchte, fürchtet und daher nicht selten aus unterschiedlichsten und oftmals unbewussten Motiven über seine Grenzen geht? Sei es aus dem Bedürfnis nach Anerkennung, Status, Wertschätzung, geliebt und gebraucht werden wollen, aber auch aus Angst vor einem Arbeitsplatzverlust und den daraus folgenden wirtschaftlichen und sozialen Einbußen? Diese Bedürfnisse und Wünsche sind zutiefst menschlich aber haben ihre teilweise Berechtigung.“ – „Wieso nur eine teilweise Berechtigung? Wir kennen doch die Maslowsche Bedürfnispyramide. Ja, zugegebenermaßen ist sie etwas umstritten, aber in ihrer Grundausrichtung immer noch aussagekräftig.“ – „Ein gutes Stichwort. Wenn wir davon ausgehen, dass die ersten drei Ebenen der Defizitbedürfnisse weitgehend gut abgedeckt sind, dann müssen wir die Ebenen der Individualbedürfnisse und der Selbstverwirklichung unter die Lupe nehmen. Wenn das individuelle Bedürfnis nach Anerkennung, Wertschätzung usw. gut befriedigt ist, sollten wir nicht vergessen, nach unserem Sinn im Leben zu fragen. Wo will ich hin, was ist meine persönliche Aufgabe, was will ich vielleicht ändern? Dieser Punkt kann ein bisschen tricky werden. Denn ich kann zum Beispiel zugunsten eines Wunsches nach Selbstverwirklichung die Ebene zwei, nämlich die der Sicherheit verlassen, die ich eigentlich schon erreicht habe. Stell dir vor, du möchtest endlich die Welt erkunden, kaufst dir ein Wohnmobil, vermietest deine Wohnung auf unbestimmte Zeit und tingelst durch die Lande.“ – „Verstehe, worauf du hinauswillst. Dazu braucht es aber auch ganz schön viel Mut.“ – „Das stimmt, aber wir haben schon so viel in unserem Leben erreicht und uns das eine oder andere berufliche Denkmal gesetzt. Irgendwann ist es an der Zeit den individuellen Sinn im Hier und Jetzt zu leben. Dazu fällt mir ein Spruch von Perikles ein, der sagte, „das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, das Geheimnis der Freiheit aber, ist der Mut.“ “

© Brigitte Ammer-Weis 2025-04-16

Genres
Self-help & Life support
Moods
Emotional, Reflektierend