by Eva Filice
Lange stehe ich schon auf diesem Platz, der meinen Namen trägt. Heute, an einem Samstag im Mai genieße ich den sonnigen Tag und betrachte die fröhlichen Menschen, die sich in meiner Nähe befinden. Mein Standort am Walther-von-der-Vogelweide-Platz wird auch als Salon der Stadt Bozen bezeichnet. Das passt zu meiner noblen Herkunft als Minnesänger, denn Piazza Walther gefällt mir gar nicht. Welch wechselhafte Geschichte musste ich hier erleben! Seit 135 Jahren verfolge ich das Schicksal der Stadt. Gegen Ende der Habsburgermonarchie wurde mir 1889 die Ehre erwiesen, als Denkmal auf dem bedeutungsvollen Platz die Bozener Gesellschaft zu erfreuen – als Ausdruck der „kulturnationalen Optionen der deutschliberalen Bürgerschaft“. Damals wurde ich, eigentlich meine 3,30 m hohe Statue aus weißem Laaser Marmor, der Bozener Bevölkerung bei einem großen Fest präsentiert. Anfang des 19. Jh. hieß der Platz, der auch als Truppenaufmarschplatz diente, Maximiliansplatz. Nach dem Wiener Kongress wurde er in Johannsplatz umbenannt. Dabei wurde der Erzherzog Johann von Österreich geehrt, der im Mausoleum von Schenna als Graf von Meran seine letzte Ruhestätte gefunden hat.
Unter dem Faschismus verschwand die deutsche Sprache, die ich als Minnesänger seit dem Mittelalter pflegte. Mein Platz wurde 1925 in Piazza Vittorio Emanuele umbenannt, Namensgeber war der italienische König. 10 Jahre danach musste ich ebenfalls weichen, denn meine Statue wurde in den Park eines Außenbezirks verbannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Platz kurzfristig in Marienplatz umbenannt. Umbauarbeiten und der Bau einer Tiefgarage ließen mich 1981 endlich wieder auf meinen ursprünglichen Ort im Zentrum der Stadt, auf den Walther-von-der-Vogelweide-Platz, zurückkehren. Hier finden während des Jahres verschiedenen Feste statt. Hier tummeln sich die Einheimischen, die Kaffee trinken und auch einem Caffé nicht abgeneigt sind. Ich sehe Menschen, die die vornehmen Palais Pock, Campofranco und Menz auf meinem Platz bewundern, dann in Richtung Lauben und Kornplatz schlendern. Ich höre das Geläut des nahen gotischen Doms und bewundere den Kirchturm mit Turmhelm aus Sandstein, der als Wahrzeichen Bozens angesehen wird. Nicht weit weg befindet sich die sehenswerte Dominikanerkirche, die wunderschöne Fresken der Bozener Schule aufweist. Beeindruckend das Fresko “Der Triumph des Todes”, Vergleiche mit Fresken von Giotto liegen nahe. Viele sehenswerte Plätze und Gebäude weist die Südtiroler Landeshauptstadt auf. Das neobarocke Rathaus sowie die berühmte Laubengasse, das Herzstück des Bozener Handels, finden Bewunderung. Der Kornplatz ist der älteste Teil der Stadt, wo früher mit Korn und landwirtschaftlichen Produkten gehandelt wurde. Im Waaghaus befand sich der Sitz der öffentlichen Waage. Jenseits des Flusses Tafer liegt der Ortsteil Gries, einst ein Luftkurort mit Weingärten.
Der belebte Obstmarkt fand bei meinem Schriftstellerkollegen Goethe Bewunderung, als er bei seiner italienischen Reise dort logierte. Eine neue Heimat fand auch Ötzi, die Mumie vom Similaungletscher im Bozener Archäologiemuseum. Vor mehr als 5300 Jahren kam er in den Tiroler Bergen ums Leben.
© Eva Filice 2024-11-03