Ein paar Jahre später…
Das Wasser des Flusses rauschte und gab mir ein lebendiges Gefühl. Ringsherum war Wald, Wald, in dem Leben kam und ging. Alte Bäume starben, neue Bäume wuchsen. Der Lebenskreislauf war mir mittlerweile sehr bewusst, denn mit ein paar Jahren Abstand betrachtet, war ich mehr als heile froh darüber, am Leben zu sein. Ich beschloss vor einem Jahr, mich ab nun vegetarisch zu ernähren, denn ich wusste die Bedeutung von Leben zu schätzen, egal, in welcher Form. Ich wollte niemandem das Leben nehmen, der es nicht wollte. Und zu vielen Tieren nahm man täglich das Leben, auf brutalste Weise, um ein bisschen Genuss für den Gaumen zu haben. Dieser Gedanke erschien mir widerwärtig, denn jeder sollte über sein eigenes Leben entscheiden dürfen.
Versonnen drehte ich einen Stein in meiner Hand herum. Es war ein gutes Gefühl, wie er sich anfühlte Wie sich etwas anFÜHLTE. Die Intensität des Lebens verschlug mir oft noch den Atem. Meine Gedanken glitten zu dem Stein zurück. Ich betrachtete ihn genauer. Er hatte rosa Farbschichten, die sich längs entlang der ovalen Seite zogen. Krater übersäten die Oberfläche und ich musste an die Schönheit des Mondes denken. Der Mond, der silbrig glänzend die Nacht erhellte. Ich musste schmunzeln. Ich liebte den Anblick des Mondes. Den Anblick der Sterne. Den Anblick des Flusses. Den Anblick der Natur.
Und in diesem Augenblick stand er mir gegenüber. Ein schöner Anblick, ein magischer Augenblick.
Emil.
Ein Moment verstrich, in dem ich mich in seinem Antlitz verlor und einfach nur lächelte. Er verlor nicht an Schönheit, sondern gewann daran. Ich konnte mir nicht vorstellen, diese Person eines Tages nicht zu lieben. Denn er war der EINE. Er lächelte mich an und kam auf mich zu. Aus meinen Gedanken gerissen stand ich vom Flussufer auf und ging ihm entgegen. “Na, was machst du Schönes?”, fragte er mich mit einem verschmitzten Grinsen, zog mich in seine Arme und küsste mich, sodass das Rauschen des Flusses in das Rauschen meines Blutes überging. Nach einem intensiven, langen Kuss lösten wir uns voneinander und ich blickte ihn mit großen Augen an. “Also du meinst AUSSER an dich zu denken?”, erwiderte ich grinsend. “Genau. Ich kann aber gut verstehen, dass das eine Daueraufgabe sein muss… ”, bemerkte er mit Gleichgültigkeit, worauf ich ihn spielerisch in seinen Arm kniff. “Hey, ich bin nun mal umwerfend, was kann ich dafür?”, sagte er gespielt beleidigt und hob entwaffnend seine Hände in die Höhe. Da wir ziemlich gleich groß waren, nahm ich seine Hände in meine und verschränkte sachte unsere einzelnen Finger ineinander. “Ich habe einen Stein betrachtet.” Liebevoll sah ich ihm in die Augen, denn er verstand mich. Er verstand meine Liebe fürs Detail, meine Liebe für die Natur. Und nicht nur deshalb liebte ich ihn so sehr. Ich liebte ihn, weil er er war. Jemand ganz Besonderes.
Und dann kniete er sich hin, in seiner rechten Hand eine kleine Schatulle, die er mit einem leisen “Klick” öffnete.
Willkommen im Leben.
© Laura Moretti 2022-08-18