Zirpende Grillen

Aulona Demolli

by Aulona Demolli

Story

In jedem einzelnen Land hat die Natur ihren eigenen Klang. In der Heimat meiner Eltern waren es das laute Zirpen der Grillen, das Bellen der Straßenhunde, und das leichte Rascheln der Blätter durch den sanften Sommerwind, die mich im Urlaub immer daran erinnerten, dass ich im Kosovo war. Im kleinen, aber sehr gemütlichen und schönen Garten meiner Großeltern verbrachte ich die warmen Nachmittage oft mit meiner Oma, indem wir schwarzen Tee tranken und uns über alles Mögliche unterhielten. „Wie ich die zirpenden Grillen vermisste habe“, dachte ich laut. „Ja, die habe ich auch vermisst, als ich mit deinem Großvater nach dem Kriegsausbruch in Finnland war“, begann meine Oma zu erzählen. „Für uns hatte sich dort die Möglichkeit ergeben Zuflucht zu finden, währenddessen war deine Mutter mit deinem Vater nach Deutschland geflohen. Man nahm uns herzlich auf und brachte uns in sicheren Unterkünften unter. Nach kurzer Zeit hatten wir sogar finnländische Pässe bekommen und dennoch waren wir vom Heimweh geplagt. Am meisten fehlte mir der Klang der Natur des Kosovos, der mit den zunehmenden Unruhen und Spannungen durch die Sirenen, Schüsse und Schreie übertönt wurde. Stück für Stück beraubte man uns unserer Freiheit. Tag für Tag nahm die Angst zu, dass die Serben auch uns aus unserem Haus vertreiben würden. Es waren schreckliche Zeiten damals für uns Albaner und ich hoffe, dass sich so etwas nie wieder wiederholt.” Meine Oma schwieg und schüttelte den Kopf, als wolle sie nicht wieder in die graue Vergangenheit der Kriegszeiten versetzt werden.

„Wie habt ihr euch gefühlt als ihr zurückgekehrt seid?“, fragte ich sie neugierig. Sie lächelte und erinnerte sich anscheinend gerne an den Tag ihrer Rückkehr.

„Die Freude über die Befreiung Kosovos, die wir empfanden, war nicht in Worte zu fassen, da wir allmählich angefangen hatten, die Hoffnung zu verlieren, dass sich die Lage dort bessern würde und doch kehrten wir zurück und fanden ein zwar zertrümmertes, aber freies Land, das wieder aufgebaut werden musste, vor. Unser Haus wurde Gott sei Dank nicht beschädigt. Wie ich mich freute wieder den heimatlichen Klang wahrzunehmen! Mir schien es so, als seien die Grillen zusammen mit den Albanern vertrieben worden und wieder mit uns zurückgekehrt”, erzählte sie mit Tränen in den Augen.

Ich hielt schweigend ihre Hand fest und wir lauschten dem friedlichen Klang der Freiheit Kosovos.

© Aulona Demolli 2024-08-15

Genres
Novels & Stories
Moods
Emotional, Hoffnungsvoll, Inspirierend, Reflektierend