Zweisamkeit mit Ablaufdatum

Laura Farrensteiner

by Laura Farrensteiner

Story

„Was ist dein Lieblingsplatz in Berlin?“ tippte Lea als erste Frage an ihn und hätte nicht gedacht, dass sie nur wenige Wochen später selbst mit „Jeder Ort, wo ich mit ihm bin“ antworten würde. Sie war gerade frisch in Berlin angekommen und verlor sich im Anblick der bunt-beschmierten Hauswände, der schüchternen Sonnenstrahlen und dem chaotisch-belebendem Lärm. Sie war ab sofort Studium-bedingt einmal im Monat hier und suchte vor allem Realitätsflucht, Leichtigkeit und Lebensfreude. Mit ihm würde sie in diese Welt eintauchen und im Fluss von lockeren Gesprächen, berauschendem Alkohol und zarten Berührungen auf der seichten Ebbe entlang treiben.

Es fing mit einem intentionslosen Swipen an. Auf dem Foto umschmeichelte ein süßes Lächeln seine Lippen und ein Lockenkopf vollendete sein schönes Gesicht. Sie mochte seinen typischen Berliner Look mit Kapuzen-Hoodie und Bauchtasche. Levin, 24 Jahre, stand in weißer Schrift. Ihr erstes Date hatten sie in einer hippen Bar in Kreuzberg. Lea fühlte sich seit dem ersten Moment wohl und mochte seine offene Art, seine Sicht auf die Welt und sein „Safe Digga“, was ihm ungefähr zwei Mal in jedem Satz über die Lippen kam. Als er sie später heimbrachte, teilten sie ihren ersten Kuss, zart und schüchtern, in einer unbeschwerten und kühlen Nacht in Friedrichshain. Sie sahen sich gleich am nächsten Abend wieder, wo sich Lea im schummrigen Licht der Bar in Levins Augen und wenige Stunden später in der kuscheligen Wärme ihres gemeinsamen Deckennests bei ihm in Berlin Mitte verlor. Obwohl sie sich eigentlich noch fremd waren, fühlte sich die Zweisamkeit ab dem ersten Moment so vertraut an. Jede Berührung war wie ein neues Lied zu entdecken: Herzklopfer, Gänsehaut und das Sein in der puren Existenz.

Auch fünf Monate später ist es noch so. Es ist so leicht, Nähe zu zeigen und Zweisamkeit zu bekommen. Obwohl sie sich nur alle paar Wochen sehen, schreiben sie jeden Tag miteinander. Er zeigt ihr, wie es sein kann und auch sein sollte: Kein Gefühlsknoten, der schwer im Magen liegt, sondern vielmehr ein glühendes Herz, dessen Wärme durch den ganzen Körper strömt. Bei ihm ist sie aufgehoben und kann sich zugleich fallen lassen. Sie verliert sich nicht in Hirngespinsten der Vergangenheit oder Luftschlössern der Zukunft. Sie ist frei und doch eingefangen – von seiner Zärtlichkeit, lieben Art und schönem Gesicht.

Doch Lea weiß auch, dass es eine Zweisamkeit mit Ablaufdatum ist. Denn es sind zwei Welten, die aufeinander prallen. Sie ist der poetische Klang, die melancholische Zeichnung, das Gläschen Wein für die Nerven. Er ein deutscher Rap-Beat, ein buntes Street Art-Werk und ein Vollrausch an Drogen. Und das einzig Verbindliche ist für ihn die Unverbindlichkeit. Sie würden sich den Weg bis zur nächsten Kreuzung teilen, welcher leicht und doch von Bedeutung sein wird. Sie würden einen Moment Ewigkeit im Jetzt festhalten. Er würde ihr Temporär, nicht ihr Für Immer sein.

© Laura Farrensteiner 2022-02-16

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